"Kilimanjaro" - Wer kennt diesen Namen nicht ?! Jedermann weiß, dass es der höchste Berg Afrikas ist, dass er unter tropischer Sonne fast 6.000 m aufragt, aber dennoch Schnee und Eis seinen Gipfel krönen. Auch für mich war er von klein auf ein Begriff, denn mit 5 Jahren habe ich mit dem Sammeln von Sanella-Bildern begonnen und Afrika war der erste Sammelband. Da ich ab dem ersten Bild auf persönlichem Einkauf von Sanella-Margarine bestand, hielt ich auch alsbald das eindrucksvolle und mir noch heute vor Augen stehende Bild vom schneebedeckten Kilimanjaro samt Giraffe und Akazienbaum (im Vordergrund) in der Hand. Schon damals war mir klar, dort muss ich irgendwann mal hin.
Gerade von der Reise nach Südamerika im August 2008 zurück gekehrt, ruft mich Peter aus Bonn an. Er plant eine Besteigung des Kilimanjaro auf der Coca-Cola-Route und sucht noch weitere Interessenten. Arnd und er seien schon sichere Kandidaten und zusammen mit mir könnte diese Tour bereits durchgeführt werden. Ein günstiges Angebot habe Arnd auf der Internetseite des Reiseveranstalters Elefant-Tours gefunden. Und zur Abrundung wären ein paar Tage Erholung am Strand von Sansibar auch nicht schlecht. Auf meine schüchterne Frage nach dem Alter von Arnd höre ich: 'Du bist der Jüngste.' - Und das, obgleich ich im November aus Altersgründen in den Ruhestand gehen muss. Zeit genug hätte ich dann ja, geht mir durch den Kopf. Auch Höhenprobleme wären sicherlich kein wesentliches Thema, wie mir gerade Bolivien gezeigt hat. Also wenn nicht jetzt, wann will ich dann den Kilimanjaro besteigen? Jünger werde ich auch nicht mehr. Mein Entschluss steht fest .. wenn Gabi mich ziehen lässt. Gabi lässt mich ziehen.
Schneller als vorgestellt, bin ich Pensionär. Nur, wo bleibt die Zeit, die ich jetzt reichlich haben sollte? Auch der Abreisetag am 27. Januar 2009 rückt näher und ich muss mir endlich Gedanken über die Ausrüstung machen. Für erhebliche Minusgrade am Kilimanjaro bis zu tropischer Hitze auf der Insel Sansibar brauche ich schließlich die entsprechenden Klamotten. Allzu schwer darf das Ganze auch nicht werden, denn den Kram muss ich nun mal selbst schleppen können. Zwiebelschalenprinzip hin und her, es wird immer mehr, was ich schon mal für die Reise separat lege. Und es ist nicht zu fassen, ein Hunderter folgt dem Nächsten; die recht günstige Reise wird immer teurer. Zu allem Überfluss regen sich mittlerweile auch gewisse Zweifel an meinem Mut für das gebuchte Abenteuer "Kilimanjaro". Die Höhe des Kilimanjaro von 5.895 Metern wird mir nämlich immer bewusster, auch die Tatsache, dass es dort oben bis zu minus 20 Grad Kälte geben kann und dass man wirklich jeden einzelnen Meter in eigener Person nach oben tappen muss. Und das als Rheinländer, der als Training für den Kilimanjaro allenfalls das Gassigehen mit Lotti auf den Rheinwiesen und das tägliche Treppensteigen zur Wohnung vorweisen kann. Wirklich nicht berauschend.
Der eigentliche Hammer kommt am 10. Januar. Der Weihnachtsbaum muss endlich entsorgt werden. Wie jedes Jahr wird er durch die Wohnung geschleppt, durch die viel zu enge Dachterrassentür gedrückt (wobei die meisten Nadeln bereits in meinem Zimmer landen) und dann von der Dachhöhe nach unten geworfen, wobei der arme Weihnachtsbaum auch die letzte Nadel fallen lässt. Anders als in den Jahren davor, liegt diesmal allerdings Schnee auf der Terrasse, über den ich natürlich tappe. Um das Gerippe zwecks der Abholung an der Straße zu deponieren, muss ich die Treppe hinunter. Das hätte ich lieber nicht sofort tun sollen. Schon die dritte Stufe wird zum Verhängnis. Ich rutsche aus und krache mit Körper und Gesicht auf die diversen Stufenkanten. Das war's wohl mit meinem Kilimanjaro-Abenteuer. Erst nach einer Woche fällt die endgültige Entscheidung, ich mache trotz der Blessuren mit.
Offenbar sind Arnd ebenfalls gewisse Zweifel an unserem Vorhaben gekommen, denn er hat sich ins Internet begeben und dort festgestellt, dass man auch auf 200 Meter Höhe durchaus ein Höhentraining absolvieren kann. Man braucht dazu nur nach Köln ins Studio Höhenbalance zu fahren. Also fahren wir drei Abenteurer in der allerletzten Woche vor dem Abflug täglich nach Köln und malochen auf Fahrrad, Lauf- und Steigbändern bei Sauerstoffreduzierungen bis in Höhen von über 5.000 Metern. Dennoch, die nicht endenden Staufahrten über den Kölner Ring schaffen mich weit mehr, als das Training für den höchsten Berg Afrikas.
Was gibt es Schöneres, als in einem Rutsch ans Ziel zu kommen. Ohne jede Zwischenlandung setzt der Condor-Flieger nach gut 8 Stunden pünktlich bei Tagesanbruch auf dem Kilimanjaro-Airport auf. Der Kleinbus von Elefant-Tours erwartet uns schon. Gerade mal 100 m Fahrt liegen hinter uns, da sehen wir bereits die Umrisse unseres Ziels im Morgendunst. Aus der weiten Ebene erhebt sich majestätisch das Massiv des Kilimanjaro. Das ist er also, der Anblick auf den ich so lange gewartet habe. Unsere Begeisterung ist riesengroß. Geradewegs fahren wir auf das Massiv zu. Linker Hand ist ein weiterer, großer Vulkan in der typischen Kegelform auszumachen. Es kann nur der Mount Meru sein, der häufig zur Akklimatisierung für die nachfolgende Besteigung des weit höheren Kilimanjaro mißbraucht wird. Mächtig wächst der Kilimanjaro vor uns auf. Die ersten Photos müssen jetzt einfach sein. Gletscher sind auf der Höhe zu sehen. Und bis dort hinauf sollen wir drei Opas kommen? ist mein banger Gedanke. Da bin ich aber mal gespannt, wie weit wir tatsächlich kommen. Südlich fährt der Bus am Massiv entlang bis zum Städtchen Moshi und weiter Richtung Marangu, nunmehr bereits in höhere Gefilde kommend. Im Gegensatz zur Ebene, herrscht alsbald üppiges Grün um uns. Es wächst und gedeiht hier, dass es nur so eine Freude ist. Inmitten dieses Gartens Eden sind wir am heutigen Ziel, dem Marangu Hotel.
In einem Bungalow werden wir untergebracht. Peter und meine Wenigkeit nehmen das Doppelzimmer, Arnd hat wegen seines Schnarchens freundlicherweise ein Einzelzimmer gebucht. Alsbald erscheint der hiesige Vertreter von Elefant-Tours, um uns auf das Abenteuer 'Kilimanjaro' einzustimmen und dazu viel Erfolg zu wünschen. Ob er wirklich dran glaubt? Im Dörfchen Marangu wollen wir uns heute noch umsehen. 1 bis 2 Kilometer soll es entfernt sein. Auf Teerstraße trödeln wir dahin. Üppige Vegetation links und rechts. Auch an einigen tollen Anwesen kommen wir vorbei. Ansonsten knallt die Sonne vom Himmel; es ist schwül-heiß. Genau die richtige Einstimmung auf Schwarz-Afrika, ist mein Gedanke. Ein paar einfache Holzhäuser zeigen sich, dann ein Straßenschild, das auf den Abzweig zum Kilimanjaro National Park hinweist. Hier wird es morgen ernst, steht jedem ins Gesicht geschrieben.
An der Kreuzung kann man afrikanisches Leben studieren. Unter einem mächtigen Baum haben sich etliche Marktweiber niedergelassen, um ihr Obst und Gemüse an den Mann oder besser an die Frau zu bringen. Denn in Bewegung (auch was den Mund anlangt) sind in Schwarzafrika meist nur die Frauen; die Herrn der Schöpfung stehen dagegen gelangweilt herum, schauen den Frauen bei der Arbeit zu und lassen den lieben Gott einen guten Mann sein. Ein paar Bananen kaufen wir uns. Mit meinem Handeln komme ich allerdings nicht weit; hier ist schon Touristenzone. Auch wollen sich die Marktweiber nicht aus der Nähe fotografieren lassen; sie winken ab. Von weitem mit Zoom klappt es jedoch. Peter hat gerade sein letztes Bild auf der Reise geschossen. Seine neue Kamera gibt den Geist auf. Wir trösten ihn und versprechen hoch und heilig, dass er alle unsere Bilder in Kopie auf CD erhalten wird. (Seine prall gefüllte Video-Kamera wird Peter erst am Ende der Reise im Frankfurter Flughafen liegen lassen, um quasi nackt und bloß nach Bonn zurück zu kehren. Kein Mensch wird ihm das Kilimanjaro-Abenteuer je abnehmen.)
Wieder im Hotel lege ich mich erst mal aufs Ohr. Der fehlende Schlaf während des Nachtfluges fordert seinen Tribut. Gott sei Dank spielt wenigstens die Zeitverschiebung von nur zwei (verloren) Stunden keine wesentliche Rolle. Nach dem Schläfchen fühle ich mich erst richtig in Afrika angekommen. Die Blütenpracht in der Hotelanlage nimmt mich gefangen und begeistert. Jetzt reißt zu meiner Freude auch die Bewölkung auf und wie auf einer Bühne öffnet sich der Blick hinüber zur schneebedeckten Majestät, dem Vulkan Killimanjaro. Neben dem Sanellabild das zweite Bild, das ich nicht mehr vergessen werde. Weiter rechts taucht zwischen den exotischen Bäumen noch ein anderes Gipfelmassiv auf, es ist der bizarre Mawenzi, der zweite von drei Gipfeln des Kilimanjaro-Massivs. Auch Peter und Arnd sind beeindruckt. Da gerade passend ein Tisch mit drei Stühlen im Garten stehen, erscheint uns die Zeit reif, um mit einer Flasche Bier auf das morgen beginnende Abenteuer anzustoßen. Natürlich wählen wir das hiesige Bier mit dem Namen 'Kilimanjaro'.
Das Abendessen ruft. Nur wenige Tische sind besetzt. Erwartungsvoll sitzen wir Drei und harren der Dinge. Die Kellnerin und der Kellner haben aber noch wichtige Dinge zu besprechen. Dann bekommen wir aber doch unser Bier und auch die Suppenschüssel wird gebracht. Mit der Kelle in der einen, dem Teller in der anderen Hand schaufelt unser Waiter - irgendwie ungelenk - die Suppe aus der Schüssel bis über seinen Daumennagel auf den Teller. Es ist Gott sei Dank der Teller für Peter. Mit Wohlwollen beobachte ich, dass Arnds und vor allem mein Teller nunmehr schlicht und einfach auf dem Tisch befüllt werden. Vielleicht war die Suppe dem Kellner doch zu heiß. Noch eine Kleinigkeit hat Peter heute zu schlucken, oder besser nicht zu schlucken. Aus Versehen füllt der Waiter nämlich Peters zweites Bier in ein gebrauchtes Bierglas auf seinem Tablett ab. Nur den kümmerlichen Rest aus der Flasche bekommt Peter daher. Ansonsten geht das Essen jedoch glatt über die Bühne, auch wenn ich wieder mal meine, dass es in Schwarz-Afrika mehr linke als rechte Hände und Füße gibt, zumal bei den Männern.
Ein Prasseln kommt vom Dach, es schüttet wie aus Eimern. Nur bitte nicht morgen, ist mein Gedanke. Wir flitzen zu unserem Zimmer rüber, denn es muss noch umgepackt werden. Nur das Notwendige - wie etwa mein Flachmann (die Pulle Osborne habe ich mir diesmal verkniffen) - soll auf den Kilimanjaro mit genommen werden, der kleine Rest kann im Hotel bleiben. Beim letzten Duschen für die nächsten Tage höre ich bereits das Schnarchen von Arnd nebenan. Peter und ich gehen noch auf einen Schluck in die Gartenbar und später bei Regen wieder zurück. Es dauert nicht lange, dann ist auch das Schnarchen von Peter zu hören. Wie gut, dass es Oropax gibt; ich muss es nur noch finden. Das helle Licht einer Lampe scheint durchs Fenster; gnädigerweise allerdings hinter mir, dummerweise jedoch genau auf den Spiegel an der Wand vor mir mit der Folge, dass es genau in mein Gesicht scheint. Eine Gardine suche ich vergebens. Ich meine, ich schlafe die ganze Nacht nicht.
Herrlichster Sonnenschein herrscht draußen, als morgens der Wecker klingelt. "Du hast vielleicht laut geschnarcht heute Nacht" klagt Peter mich an "ich konnte kein Auge zutun." Obgleich ich mir wirklich keiner Schuld bewußt bin, biete ich Peter von meinen Oropax an. "Die kann ich nicht nehmen, dann schlafe ich erst recht nicht." höre ich. An die kommenden Nächte in der Gemeinschaftsunterkunft mag ich lieber noch nicht denken. Eine letzte Rasur genehmige ich mir, dann geht's rüber zum Frühstück. Und wie schön, es gibt auch Rührei mit Speck. Ein erfreuliches Überbleibsel aus der britischen Kolonialzeit. Denn von 1918 bis 1961 war Tanzania - unter dem Namen Tanganjika - britisch, davor übrigens eine deutsche Kolonie als Deutsch-Ostafrika. Alsbald erscheint auch der Bus, der uns bis zum Eingang des Kilimanjaro National Parks auf ca. 1.900 m Höhe schaukelt. Reger Betrieb herrscht hier bereits. Nicht nur wir wollen offenbar dem Kilimanjaro über die Marangu Route heute auf den Pelz rücken. Abfällig wird diese Route aber meist als Coca-Cola-Route bezeichnet, was heißen soll: Für jedermann, der nicht gerade fußkrank ist oder Hämorrhoiden hat, problemlos zu schaffen. Na, wir werden ja sehen.
Schwarze, Weiße, Gelbe wandern auf dem Parkplatz vor dem Eingangstor herum. Auch ich weiß noch nicht so recht, wohin ich gehöre. An einer Stelle werden Gepäckstücke exakt gewogen; mehr als 20 KG darf kein schwarzer Träger auf den Berg schleppen. Irgendwann ist unser Gepäck dran. Jetzt wird auch klar, wer für uns zuständig ist. Der Guide Sahidi stellt sich und die Mannschaft vor: ein zweiter Guide, Koch, Kellner und diverse Träger. Ob tatsächlich so viele für uns Drei nötig sind? Das Gepäck wird verteilt. Gut in einer Plasikhülle verstaut, schultert ein junger Schwarzer meine schwere Tasche und schon marschieren die Träger davon. Nur mein Tagesrucksack, gefüllt mit 3 Flaschen Wasser, bleibt bei mir, denn reichlich trinken ist für die Besteigung des Kilimanjaro absolute Pflicht. Irgendwohin ist unser Guide verschwunden. Man hat Zeit in Afrika, viel, viel Zeit, am Kilimanjaro besonders viel. Pole, pole (langsam, langsam) ist hier denn auch das Zauberwort. Hauptsächlich soll es ja für die Bergbesteigung gelten, hat aber Allgemeinbedeutung für alles und jedes.
Ein Gruppenbild vor dem Eingangstor zum Kili Park sollten wir schon haben, meint Arnd. Dann wagen wir uns sogar hinters Tor, denn dort steht auf einer Tafel alles Wissenswerte über die Marangu Route. Für heute heißt es: Drei Stunden durch Regenwald bis zur Mandara Hütte in 2.700 Meter Höhe. Im Laufschritt vielleicht, denke ich so bei mir. Sahidi findet sich wieder ein. Nur an seiner roten Hose erkenne ich ihn, denn die vielen schwarzen Gesichter sehen am Anfang alle gleich aus. Einen großen Rucksack samt Regenschirm hat er geschultert; offenbar kann es losgehen. Der zweite Führer, er nennt sich Wallace, trägt komischerweise nichts. Er spielt den Lumpensammler, denn er läuft meist als letzter. Getragen hat er aber keinen von uns. Ich will es nicht glauben, nur wir drei Rheinländer bilden tatsächlich die ganze Gruppe; es kommen keine weiteren Touristen dazu. Vor dem Abmarsch muss noch ein Foto von Sahidi mit meiner Wenigkeit vor der Gedenktafel für den Deutschen Hans Meyer her; als erster Europäer hatte Hans Meyer den Kilimanjaro im Jahr 1889 bezwungen. Dann verschluckt uns endlich der Regenwald des Kilimanjaro.
Ein wunderschöner Waldweg liegt vor uns. Noch hat er allerdings nicht viel mit Exotik zu tun. Dichtes Buschwerk links und rechts, wie es auch in Deutschland zu sehen ist. Dieser unterste Teil des Parks scheint mir erst vor wenigen Jahren der Natur wieder zurück gegeben worden zu sein, denn älterer Baum-bestand ist nicht zu entdecken. Auf gleicher Höhe bahnt sich der Weg durch das Grün. Rot ist jedoch das Erdreich, wie so häufig in Afrika. Arnd, Peter und Sahidi sind schon längst außer Sicht, ich dagegen lass mir Zeit und denke: pole, pole. Wallace tappt kurz hinter mir. Liebend gerne hätte ich ihn abgeschüttelt und wäre alleine gelaufen; es wird mir aber nie gelingen. Sein Job ist es nun mal, der Lumpensammler zu sein. Mit Unterhaltung ist leider auch nicht viel, denn er spricht nur sehr wenige Worte Englisch; Kisuaheli nennt sich seine Sprache und davon kenne ich wiederum nur: pole, pole. Mein sprichwörtliches Wetterglück in Urlauben verlässt mich offenbar auch am Kilimanjaro nicht. Strahlender Sonnenschein herrscht über dem Regenwald und das soll mir erst mal einer nachmachen.
Eine schmale Holzbrücke, unter der das Wasser rauscht, wird überschritten und erstaunlich, erst jetzt geht es erstmalig aufwärts. Stufen zeigen sich hin und wieder mit schräg befestigten Ästen als Absatz und zur Ableitung des Regenwassers. Es wandert sich wunderbar auf diesem offenbar gepflegten Waldweg; nass, feucht, oder glitschig ist es heute Gott sei Dank nicht. Bei den Regengüssen in der letzten Nacht hätte ich anderes erwartet. Recht sanft, wenn auch stetig geht es jetzt schon längere Zeit aufwärts. Und allmählich wandelt sich das Bild um uns. Es wird exotischer, wilder, ursprünglicher. So stelle ich mir einen Regenwald auch eher vor, zumal unter dem Äquator in Afrika. Vor mir tauchen wieder die drei Ausreißer auf. Pole, pole ist nun auch bei ihnen angesagt, was Arnd allerdings gar nicht gefällt. Er mosert deshalb mit dem Führer, der diesen langsamen Schritt vorgibt. Kein Wunder bei Arnd, hat er doch erst vor wenigen Monaten den mehrere 100 Kilometer langen Jakobsweg in Spanien erfolgreich gemeistert. Es hilft unserem Senior aber nichts, er muss sich fügen, auch wenn er noch so mit den Hufen scharrt.
Ich genieße die angenehme Wanderung durch den Regenwald mit allen Sinnen. Wir sind jetzt wirklich in einem Urwald angekommen. Nichts ist mehr durch Menschenhand geordnet oder bestimmt. Die Natur kann sich hier allein nach ihrem Gutdünken entfalten und das macht sie mit unglaublicher Phantasie, Schönheit und Begeisterung. Immer wieder bleibe ich stehen, schaue in das Gewirr exotischer Pflanzen und Bäume, freue mich über die kleinen, weißen Blümchen am Wegesrand, bewundere bemooste Urwaldriesen, die himmelwärts stürmen oder bedauere auch diesen oder jenen Baum, der von Schmarotzern überwuchert ist oder sich der Umarmung einer gewaltigen Lianenpflanze erwehren muss. Würzig, frisch ist meist die Luft in dieser urwüchsigen Welt, mal riecht es aber auch nach moderndem Holz oder unbekannte, sonstige Gerüche liegen in der Luft. Ich atme langsam tief ein und aus, denke nicht mal an meine Zigaretten in der Hosentasche. Irgendwo knackt es im Gebüsch. Ein Vogelschrei ist zu hören, zu sehen ist jedoch nichts. Tiere scheinen sich hier rar zu machen. Erfreulich jedenfalls, dass dies auch für Mücken und anderes stechendes Viehzeug gilt.
Stets in der Nähe eines Bachlaufes führt unser Weg nach oben. Sogar einen kleinen Wasserfall soll es geben; Sahidi führt uns zu ihm. Vor lauter wucherndem Grün ist aber weniger von Wasser zu sehen, als zu hören; riesige Farnwedel verdecken die Sicht. Unsere Fünfergruppe hat sich mittlerweile sortiert und wird diese Reihenfolge im Wesentlichen den gesamten Aufstieg beibehalten: Vorne weg natürlich Arnd mit Sahidi; meist in reger Unterhaltung auf Englisch, wobei mir allerdings schleierhaft ist, was sie sich so Interessantes zu erzählen haben. In geringem Abstand folgt Peter, in erheblichem Abstand dann meine Wenigkeit mit Wallace im Nacken. Und genau so tappen wir einer nach dem anderen über die im Dickicht auftauchende Brücke. Mittagspause ist jenseits angesagt und - wie schön - im Schatten laden 2 Tische mit Holzbänken zum Essen ein. Das mitgeschleppte Lunchpaket darf geöffnet werden. Ich hätte es schwören können, natürlich Chicken (Huhn) - was sonst in Afrika?! Aber auch ein gekochtes Ei, Banane, Brot, Bonbon sowie Saft enthält mein Füllhorn. Uns schmeckt's im sonnigen Regenwald.
Erstaunlich, auf der ganzen Strecke haben wir bisher keine Menschenseele getroffen. Etwas Betrieb herrscht dagegen an unseren Essensplatz. Eine unbefestigte, schnurgerade Strasse führt vorbei und weiter bergauf. Träger der Touristen mit allerlei Gepäck sind hier unterwegs. Aus dem Wald jenseits der Brücke höre ich Stimmen, eine besonders markante ist dabei. Drei Weiße mit Führer kommen auf unsere Seite, besetzen den freien Tisch, einer entblößt noch seinen Oberkörper, gequasselt wird aber unaufhörlich weiter, vor allem von der knarrenden, lauten Stimme. Wir machen uns lieber davon und tauchen erneut in den Wald ein. Ich meine, er wird immer schöner. Sehr dicht stehen jetzt die Bäume beieinander, total bemoost sind die Stämme, wild verzweigt die Äste. Bartflechten hängen an jedem Ast. Der Waldboden ist nicht mehr zu sehen, er ist mannshoch überwuchert. Ein Durchkommen wäre hier völlig unmöglich. Auch der Himmel versteckt sich hinter einem dichten Blätterdach. Wie durch einen grünen, abgedunkelten Tunnel wandern wir streckenweise dahin.
Dann öffnet sich wieder das Blättergewölbe und Sonnenstrahlen brechen sogar bis auf den Waldweg durch. Licht, Schatten und Grün in allen Abstufungen beherrschen jetzt das Bild. Eine wunderschöne Stimmung die mich noch langsamer werden lässt. Mal bleibe ich auch stehen, lasse diesen Märchenwald einfach auf mich wirken. Hoffentlich werden nur meine Fotos in diesem Gewirr aus Hell und Dunkel etwas, denke ich, je nach Richtung schaltet sich sogar das Blitzlicht zu. Angenehm warm ist es schon den ganzen Tag. Von Schwitzen oder Anstrengung keine Spur, obgleich es ja stetig, wenn auch sanft aufwärts geht. Viel, viel trinken sollte man bei der Besteigung des Kilimanjaro, hat uns nicht nur Sahidi nahe gelegt. Von den 3 Literflaschen ist gerade eine halbe Flasche geleert, stelle ich beim nächsten Stop fest. Mehr Durst hatte ich einfach nicht; auf der Höhe wird's wohl anders werden, entschuldige ich mich. Von rechts kommt der erste Abzweig seit der Mittagspause. Die Träger stoßen hier auf uns und ab jetzt haben wir den selben Weg. Es gibt nur einen kleinen Unterschied: Sie sind bepackt wie die Esel, ziehen rasch an uns vorbei und verschwinden wieder im Dickicht vor uns. Gegenverkehr gibt es nunmehr auch.
Eine gute Stunde später ist die erste Etappe unserer Kilimanjaro-Besteigung geschafft. Unvermittelt öffnet sich der Wald und gibt eine grasbestandene Lichtung frei, auf der am Hang verteilt so etliche Häuschen in Dachform stehen. Ein Zementsockel empfängt den müden Wanderer in goldener Schrift "Welcome to Mandara Huts 2720 MALT". Reger Betrieb herrscht bereits in Mandara. Hauptsächlich sind es Schwarze, die sich hier tummeln. Kein Wunder bei der Größe der Mannschaften. Da Sahidi wieder verschwunden ist, steige ich schon mal zum größten Dachhaus hinauf. Es ist offenbar das Speisehaus mit weiter Veranda vorne dran. Wunderbar kann man draußen sitzen und die ganze Lichtung überblicken. Deshalb sehe ich auch, dass Sahidi unser Gepäck von den Trägern aufnehmen und ins zweite Häuschen rechts von mir tragen läßt. 4 Betten hat so eine Dachhälfte, drei am Boden im Karree, eins erhöht an der Dreieckswand zum Nachbarzimmer. Wir haben Zeit, uns einrichten. Aus Platzmangel aber möglichst nach einander. Wir Drei wollen es nicht glauben, eine bekannte, schnarrende Stimme nähert sich unserem Häuschen und zieht doch frecherweise nebenan ein.
Im Camp will ich mich noch etwas umsehen. Hinter dem Esshaus stehen drei kleine Häuschen. Die Nase weist untrüglich den Weg zu den beiden Toiletten, sogar mit Sitz, Spülung und Licht; über Sauberkeit kann man sich trefflich streiten, ich habe Schlimmeres erwartet. Sogar Duschen gibt es im dritten Häuschen; natürlich mit saukaltem Wasser. Unten am Hang stehen die Dreiecke für die Mannschaften. Wie viele Personen in so einem Haus nächtigen, will ich lieber nicht wissen, denn weitere Träger sind im Anmarsch. Das herrliche Wetter verführt so manchen Touristen zu einem Sonnenbad auf der Wiese. Auch ich suche mir ein Plätzchen. Peter und Arnd gönnen sich derweil einen Tee auf der Veranda. Am Waldrand entsteht Unruhe, offenbar gibt es dort etwas Besonderes. Jetzt sehe ich es auch. Im dichten Geäst sitzen mindestens vier große Affen mit gewaltigem, buschigem Schwanz. Weiß und schwarz ist ihr Fell, die Verteilung bei jedem jedoch anders. Einer der Burschen mit schlohweißem Schwanz und weißem Gesicht scheint mich sogar zu fixieren. Nur wenige, wuchtige Sprünge, dann sitzt er versteckt im nächsten Baum. Auch die anderen sind kaum noch zu sehen.
Eine kurze Wanderung zu einem kleinen Seitenvulkan haben wir noch für den späten Nachmittag mit Sahidi verabredet. Kreisrund und etwa 20 m tief ist das Kraterloch. Wie eine Schüssel mit gerundetem Boden sieht das Vulkänchen aber eher aus, zumal das ganze Innere grasbedeckt ist. Das Schönste am Kraterrundweg erscheint mir der weite Blick hinunter in die Ebene und hinüber ins nahe Nachbarland Kenia. Wieder zurück im Camp kommen wir gerade recht, um den Abtransport eines Höhenkranken zu erleben. Auf einer Art Karren mit nur einem einzigen Rad liegt der Ärmste regelrecht gefesselt und mit der Bahre fest verschnürt. Mit einem schwarzen Ziehenden vorne, 2 Schiebenden hinten und einem seitwärts kann die rasante Fahrt los gehen. Ich will jedenfalls nicht drauf liegen, habe ich mir geschworen. Gegen 18.00 Uhr ist Abendessen für unsere Gruppe angesagt. Der Essraum ist schon gut gefüllt und alsbald sind alle Plätze an den langen Tischen belegt. Draußen fängt es an zu regnen, drinnen wird es dagegen gemütlich.
Zweier, Dreier, Vierergruppen haben sich versammelt, auch eine große, chinesische Grupppe ist dabei. Hauptsächlich sind es Männer und außer vielleicht einem oder zwei Chinesen, dürfte unsere 3-er Gruppe mit insgesamt 199 Jahren bei weitem den Vogel abgeschossen haben. Ist es nun Bewunderung oder tiefes Mitgefühl, wenn zu uns rüber geschaut wird? Alle möglichen Sprachen schwirren durch den Raum, die ganze Welt ist hier zu Gast. Die übertönende, schnarrende Stimme wird mit kundiger Unterstützung des Wiener Pärchens vom Nachbartisch nunmehr als Kroatisch identifiziert. Einige sind bereits am essen, denn jede Gruppe bekommt eigenständig gekocht und das Essen durch eigene Waiter gebracht. Auch unsere Suppe erscheint aus der Dunkelheit des Camps; irgendwo dort draußen hantiert unser Koch. Mit Argusaugen überwacht Peter diesmal die Befüllung seines Tellers. Zu unserer Freude gibt es sogar Bier für 3 Dollar zu kaufen. Ein Drei-Gänge-Menu wird serviert und so wird es auch die nächsten Tage sein. Früh geht man im Camp zu Bett; was sollte man hier sonst tun. Wer nach 20.00 Uhr draußen noch herum schleicht, sucht mit Sicherheit das Klo.
Auch wir liegen in den Betten, gut eingepackt im Schlafsack und sogar auf ordentlicher Matratze. Unsere drei Kroaten nebenan liegen ebenfalls in der Koje, haben sich aber noch einiges zu erzählen. Mein besonderer Freund teilt natürlich die Zwischenwand mit mir. Arnd kann ich nur beneiden. Er ist der erste, der durch den Mund atmet. Peter habe ich noch nicht gehört, er wälzt sich aber von einer auf die andere Seite. Schon wieder habe ich meine Oropax vergessen, finde sie aber in der Dunkelheit. Trotz meiner Oropax dringt das Pladdern des Regens auf dem Dach bis zu mir durch. Lange liege ich wach, selbst Peter schnarcht schon längst vor sich hin, da meldet sich - wie schon befürchtet - das Bier. Also Wanderschuhe an und so leise wie möglich an die Tür. Geht das Ding nun von links oder von rechts auf. Von beiden Seiten geht es aber nicht, trotz mehrerer Versuche. Irgendwer muss abgeschlossen haben. Endlich draußen. Schon stehe ich in einer riesigen Pfütze. Wie aus Eimern schüttet es vom Himmel. Das kann keiner von mir verlangen! denke ich, hinterm Haus machen die paar Tröpfchen Wasser zusätzlich auch nichts mehr aus. Die Tür unserer kroatischen Nachbarn höre ich knarren und ein Schatten huscht um die Ecke. So ein Ferkel, denke ich beim Schließen der Türe, das kann wirklich nur der Schnarrer sein.
Nach kaum geschlafener Nacht, erfreut mich der Morgen umgehend mit einem positiven Erlebnis: Die Sonne scheint, wie ich es im Urlaub auch erwarte. Das negative Erlebnis kommt jedoch gleich hinter her: Peter schimpft wie ein Rohrspatz. Wieder konnte er nicht schlafen und ich habe den Eindruck, er schießt sich auf mich ein. "Dein Schnarchen bringt mich noch um. Auf der Seite musst Du schlafen, nicht auf dem Rücken." Ich gelobe Besserung, auch wenn ich noch nicht recht weiß, wie ich das im Schlaf anstellen soll. Dass ich tatsächlich kaum geschlafen habe, verschweige ich lieber, um Peter nicht weiter zu reizen. Eine Katzenwäsche soll mir heute genügen, auf eine Rasur verzichte ich ohnehin. Das Frühstück läßt nicht lange auf sich warten. Die britische Kolonialmacht grüßt in Form eines heißen Topfes. Porridge steht auf dem Tisch. Warum eigentlich nicht, denke ich und nehme zwei volle Kellen des Haferschleims. Zwar ist es nicht mein Geschmack, doch gesund soll es sein und schafft eine gute Grundlage für die heutige, über 11 km lange Strecke bis zu den Horombo Hütten auf 3.700 m Höhe. Von mir aus kann es los gehen.
Mit frischer Energie tappen wir los und in den Wald hinein. Arnd gleich mit kräftigen Schritten vorweg, dann Peter und nach 100 Metern schon abgeschlagen, meine Wenigkeit. Herrlich würzig riecht die Luft. Eine kleine Lichtung, voll bewachsen mit ausladenden, lindgrünen Farnzweigen liegt im Sonnenschein. Noch ist es der gestrige Weg zum kleinen Vulkan, jetzt aber zweigen wir ab und es geht aufwärts. Sahidi dämpft Arnds Schritt, was umgehend mit Mosern quittiert wird. Pole, pole ist nun mal nicht Arnds Ding. Die ungeliebten Stöcke benutzt er mittlerweile aber doch; ist ja auch viel angenehmer. Erkennbar wird die Landschaft offener, die Vegetation niedriger. Büsche gewinnen die Oberhand, nur noch vereinzelt stehen Bäume dazwischen. Kleinere Passagen sind steiler geworden, Stufen müssen genommen werden. Der nächtliche Regen hat matschige Stellen hinterlassen. Dennoch geht es gut voran. Der Trägerverkehr nimmt zu, vor allem von der Gegenseite. Irgendwann tauchen auch die ersten Weißen auf, die offenbar das Abenteuer Kilimanjaro hinter sich haben. Ich versuche in ihren Gesichtern zu lesen: Haben sie es geschafft oder nicht? Ich meine eher zu lesen, dass sie uns Aufsteiger aus ganzem Herzen bemitleiden.
Je höher wir kommen, um so weiter und auch tiefer hinab geht die Sicht, der Blick die Hänge hinauf wird jedoch alsbald von dichten Wolken verdeckt. Den Kilimanjaro habe ich mir nun wirklich steiler vorgestellt. Die wellige Flanke, an der die Marangu-Route verläuft, ist nur sehr mäßig geneigt und geht weit gefächert ins Land hinaus. Dennoch liegt die Ebene, aus der der Kili wächst, schon tief unter uns, was mich angesichts der bisherigen, geringen Mühsal doch erstaunt. Ein Hügel wird überschritten und jetzt wird auch der Weg an der Flanke des Kilimanjaro entlang deutlich. Gut sichtbar markieren ihn die unterschiedlichen Kleidungsfarben der kommenden und gehenden Wanderer. Es ist nicht zu fassen, wie viele Menschen mittlerweile unterwegs sind. Eine wahre Prozession scheint auf den Kilimanjaro zu gehen. Wieder kommen Weiße vorbei. Eine größere Gruppe dürfte es sein, auch wenn sie einzeln, zu zweit oder auch zu dritt dahin tappen. Freundlich gegrüßt wird man natürlich von jedem. Man fühlt sich eben als tatsächlicher oder künftiger Kilimanjaro-Bezwinger und das verbindet.
Wie man sich unschwer denken kann, interessiert mich nicht nur, ob die Herabkommenden Männlein oder Weiblein sind, sondern weitaus mehr, welche Jahrgänge dieses Abenteuer lebendig überstanden haben. Und da sieht es für uns drei mutigen Ruheständler weiß Gott nicht rosig aus. Voll im Saft steht natürlich das Gros der Wanderer und ist männlicher Natur. Mit viel Wohlwollen könnte der eine oder andere auch auf etwa 50 Jahre geschätzt werden. Von Ebenbürtigkeit mit uns Dreien, kann bislang aber wahrlich keine Rede sein. Vielleicht kommt es ja noch. - Leicht morastig erscheinen mir einige große, nur mit harten Gräsern bewachsenen Gebiete, durch die der Pfad führt. 'Moorland' hatte die Tafel am Eingang des Parks denn auch als Vegetationszone zwischen Mandara und Horombo benannt. Schon von Weitem waren die jetzt vor uns liegenden, unerklärlich dunklen Hangareale erkennbar. Riesige Brände hat es hier gegeben, wird nunmehr klar, nur die schwarzen Gerippe der Büsche sind übrig geblieben. Dennoch, das Leben ist zurück gekehrt, saftiges Gras überzieht wieder den Boden. Und mitten drin - man glaubt es kaum - steht doch tatsächlich eine am Brand völlig unschuldige Fackellilie.
Eine etwas steilere Passage liegt hinter uns. Wir wandern wieder auf fast ebenem Weg durch grünes Buschwerk dahin. Wo soll nur die Höhe von 3.700 Metern herkommen, habe ich mich heute schon mehrfach gefragt. Eine buschfreie Felspattform mit Holztischen, Bänken und Blick wird genau passend zur Mittagszeit erreicht. Pause ist angesagt. Bin mal gespannt, was diesmal im Lunchpaket steckt. Eine Überraschung wird das Chicken jedenfalls nicht. Recht kühl ist es mittlerweile geworden. Die Wolken ziehen am Berg weiter herunter und verdunkeln die Landschaft immer stärker. Weit unten dagegen sieht man Sonnenschein über dem Land und weiße Wolken eine Etage höher. Eine bunte Truppe ist herauf gekommen und besetzt die noch freien Tische. Es sind wieder die Chinesen von gestern Abend, die im Dreieck über dem Essraum genächtigt haben. Offenbar pennen die gut 15 Männlein und Weiblein alle in einem Raum. Ein wirklich hübsches Weib ist dabei und das weiß sie auch. Mit großem, schickem Hut will sie den Kilimanjaro bezirzen. Mit von der Partie sind auch zwei ältere Herrschaften; eine Dame und ein Herr, die möglicherweise eine gewisse Konkurenz für uns darstellen könnten. Bei den Chinesen weiß man aber nie.
Ein Zigarettchen genehmige ich mir nach dem Essen. Auch Peter zückt verschämt das Päckchen. An sich wollte er mit dem Rauchen ja aufhören, um den Kilimanjaro besser zu bezwingen. Keine so gute Idee, wie ich meine; es dürfte wohl eher eine zusätzliche Belastung für den Körper sein. Weniger rauchen ist meine Devise, da es unterwegs ohnehin kaum anders geht. Ich glaube, mittlerweile sieht es Peter ebenso. Eins seiner Beine bereitet ihm schon seit gestern Sorge. Der Meniskus könnte es sein, meint Peter, vielleicht aber auch etwas anderes. Wie's dazu kam, weiß er jedoch selbst nicht recht. Hin und wieder jedenfalls, muss es ihm sehr weh tun. Arnd dagegen hat keine Probleme, obgleich ihm sogar ein neues Knie eingebaut wurde und ein großer Nagel im Bein stecken soll. Wie gut hab ich's doch, meine Beine laufen von alleine. Eine weitere Gruppe von drei Deutschen ist zum Mittagstisch eingetroffen; ein Mädel aus Köln ist dabei, wie wir abends hören werden. Mit frischem Elan machen wir uns jedoch auf den Weg und in das Buschwerk hinein.
Schier endlos scheint der Pfad zu sein. Büsche über Büsche um uns herum. Irgendwo dazwischen steht jedoch eine besondere Pflanze, die ich nur an dieser Stelle gesehen habe. Wie sie heißt? Ich habe den Namen leider vergessen. Vielleicht war es eine Lobelie oder Bromelie, vielleicht aber auch eine ganz andere. In der Bildergalerie kann man sie sehen und möglicherweise kennt jemand den Namen. Wieder ist ein riesiges Areal abgebrannt. Es muss schon mehrere Jahre her sein, denn die Vegetation hat sich am Boden bereits erholt. Und wie schön, es gibt hier eine exotische Blumenart, die ich sogar mit Namen kenne. Sie nennt sich Protea. In Südafrika habe ich sie das erste Mal kennen gelernt; sie gilt dort sogar als Nationalblume. Auch Silberdisteln wachsen vereinzelt. Dunkle Wolkenschwaden ziehen über uns dahin und vernebeln alle höheren Gebiete. Ein paar Tröpfchen Regen meine ich zu spüren. Wieder wird eine der diversen, weiten Flankenwellen genommen. Im folgenden Wellental grünt es besonders üppig. Ein Bächlein hat sogar eine kleine Schlucht in das Felsgestein geschlagen. Und dort tauchen die ersten, mich begeisternden Senecienbäume auf.
Wirklich exotisch sehen diese Senecien aus: Der Stamm im untersten Bereich verhältnismäßig dünn, ab einer bestimmten Höhe beginnt der breite, dicht verholzte, alte Blätterbereich und nur ganz oben sprießt ein grüner, halbrunder Blätterkopf. Manchen Senecien gefällt es auch, sich zu verzweigen und zwei, drei oder vier Äste auf gleicher Höhe zu bilden. Dem dicken Stammteil gleich, wachsen nunmehr die Arme weiter mit jeweils einem grünen Blätterende. Wieder verschwinden wir in dem fast mannshohen Buschwerk. Steilere Aufstiege haben immer noch Seltenheitswert, dafür ist der Weg eben umso länger; 1.000 Höhenmeter müssen ja irgendwie zustande kommen. Ein leerer Krankenkarren setzt zum Überholen an. Ein Schwarzer vorne, einer hinten. Sie tun mir leid, denn gerade hier dürfte das steilste Stück der ganzen Strecke sein. Wie alles und jedes muss auch das einrädrige Ding zu Fuß nach oben gebracht werden, hoffentlich nur nicht für uns. Zwei weitere Flankenwellen liegen hinter uns. Ich bin heilfroh, dass es trotz der dunklen Wolken bisher kaum geregnet hat. Der Weg biegt um eine Felsnase herum und endlich - erhöht am nächsten Hang - sehe ich das Ziel des heutigen Tages: Die fast schwarzen Dächer der Horombo-Hütten auf 3.700 m Höhe.
In Mandara herrschte bereits reger Betrieb, Horombo scheint dagegen ein Heerlager zu sein. Nicht nur Hütten gibt es hier, sondern auch Zelte sind reichlich zu sehen und weitere werden aufgebaut. Horombo ist offenbar das Zentrum des Kilimanjaro-Tourismus. Denn jeder nächtigt hier, ob er nun von oben oder von unten herkommt. Mandara dient demgegenüber nur der Übernachtung für die Aufsteiger, zurück geht es gleich durch bis zum Parkeingang. Sahidi ist wieder mal verschwunden. Hoffentlich ist eine Hütte für uns vorgebucht und auch tatsächlich unbelegt. In Afrika habe ich da so meine Bedenken. Nun, es klappt. Eine identische Hüttenhälfte wie in Mandara können wir für die nächsten zwei Nächte beziehen. Morgen ist nämlich Ruhetag zwecks der Höhenakklimatisierung. Die dichten Wolken über Horombo scheinen jetzt aufzureißen. Der Senecienwald im flachen Tal hinter den Hütten hat mein Interesse geweckt. An den Hütten bin ich schnell vorbei, dann noch etwas aufwärts, um besseren Blick zu bekommen. Wie Pilze nach dem Regen scheinen die Senecien in verschieden großen Gruppen aufzusprießen. An die Hundert Bäume dürften es sicher sein, die in der Senke nach oben ziehen. Ein herrliches Bild, zumal die Sonne jetzt durchbricht. Das ist schon eine Zigarette Wert, denke ich so bei mir und setze mich.
Wieder zurück im Camp will ich mich noch ein bisschen umschauen. Das Häuschen mit dem meisten Betrieb ist das hiesige Office. Mit 2 Bierflaschen kommt jemand raus und geht stolz davon. Der Abend ist also auch für uns gerettet. Diesen Service zu drei Dollar hätte ich auf solcher Höhe wirklich nicht erwartet. Ein Stück weiter steht ein Flachbau, vorne eine Tür für 'Man', hinten für 'Woman'. Kommt man rein, findet man gleich links das Waschbecken für 100 Leute, dahinter die Dusche in kalt. Rechter Hand sind zwei Klos mit Schüssel, jedoch ohne Papier und links neben der Dusche ein weiteres Klo ohne Schüssel, das ich jedoch umgehend wieder schließe und mir schwöre, nur im äußersten Notfall einen weiteren Besuch zu machen. Praktischerweise liegt unsere Hütte recht nah dran und ist bei Tageslicht durch die Felsbrocken gut zu erreichen. Leider haben sich die dunklen Wolken wieder zugezogen; duster wird der späte Nachmittag. Für 18.00 Uhr hat Sahidi das Abendessen angekündigt, damit wir hoffentlich einen Essplatz bekommen. Das größte Dach mit Treppenaufgang und kleiner Veranda beherbergt den Essraum. Und dort sitzen bereits Peter und Arnd bei einer Flasche Bier.
Auch ich hole mir natürlich ein Bier. Die Suppe erscheint alsbald. Ich meine, sie schmeckt wie gestern, sieht auch ähnlich aus. Fleisch gibt's heute Abend nicht, denn Chicken gab es ja bereits Mittags. Wo sollte ein weiteres Chicken auch herkommen. Dennoch sind wir satt geworden; zu den Tellern der Nachbarn mit Fleisch haben wir aber schon gelinst. Vor allem Arnd. Zufälligerweise hat Arnd immer einen Platz unter der Schräge. So ganz aufrecht sitzen, klappt natürlich nicht und raus kommt er an dem langen Tisch auch nur schwer. Dafür überblickt er den ganzen Raum und weiß, wo heute die Chinesen sitzen, wo die beiden Wiener, wo die Russen aus Jekatherinenburg. Wo die drei Kroaten sitzen, weiß selbst ich mit dem Rücken zum Essraum. Die hübsche, blonde Kölnerin mit ihren beiden Männern sitzt neben uns. Verheiratet ist sie aber mit keinem, weiß Arnd zu berichten. Irgendwie, irgendwann bekommt man halt mit vielen der Bergsteiger Kontakt, denn alle gehen aufwärts und man trifft sich hin und wieder, spätestens am Abend. Nach dem Essen gehe ich vor die Tür, ein Zigarettchen will ich mir genehmigen. Genau die richtige Zeit habe ich damit abgepasst, denn der Himmel zeigt sich einzigartig.
Schnell gehe ich bis zum Abhang vor, zünde die Zigarette an und schaue mit Genuss in das Spektakel der Wolken. Auf mehreren Etagen wird hier gespielt. Gut 6.000 Meter Höhe hat die Bühne und eine Breite von links bis fast nach rechts. Das Land tief unten ist nur noch eine dunkle Fläche, aus der einige Lichter blinken; es dürfte die Stadt Moshi sein. Darüber tiefgraues bis schwarzes Wolkengebräu, das sich nur langsam verändert. In der mittleren Etage ein hellgraues Wolkenband über die halbe Bühnenbreite, es wandert nach rechts. Einige aufschäumende, weiße Kumuluswolken stehen davor und wandern nach der anderen Richtung. Beide Bandenden haben sich schnell mit von unten aufsteigenden, fast schwarzen Wolken verbunden. Direkt unter mir kommen jetzt Schwaden den Hang heraufgezogen, scheinen an Tempo zu gewinnen und schon ist die ganze Bühne im Grau verschwunden. Aber nicht sehr lange. Es lichtet sich wieder. Ein Fenster reißt auf, gibt erst die Sicht auf helle, fast weiße Wolken frei, dann wieder auf das ganze Panorama. Zufällig geht mein Blick weit nach rechts. Dort öffnet sich gerade ein anderes Fenster in der obersten Wolkenetage. Und da ist er, der vergletscherte Gipfel des Kilimanjaro. Nur für einen Moment zeigt er sich; eilig wird das Fenster wieder geschlossen. Ich habe ihn gesehen!
Wie ich erst jetzt bemerke, bewundere ich das Schauspiel nicht alleine. Etliche Weiße und Schlitzaugen haben sich am Abhang versammelt, verstreuen sich jetzt aber, da es zu dunkel geworden ist. Peter ist heraus gekommen, um eine Zigarette zu rauchen. Von dem Wolkenspektakel ist nichts mehr zu sehen. Schwarz sind alle Wolken. Dafür glitzern immer mehr Lichter aus Moshi zu uns herauf und erste Sterne werden sichtbar. Gut, dass wir die Jacken dabei haben; es ist kalt geworden. Die teure Thermohose ist offenbar ihr Geld wert, denn sie hält wunderbar warm. Spät wird der Abend auch heute nicht. Der lange Weg herauf hat müde gemacht und das Bett winkt. Waschen will ich mich aber doch noch. Eigenartig, dass das Waschbecken frei ist. Bin ich denn der letzte im Camp? Alle Toiletten sind jedoch besetzt, wie ich unschwer hören kann. Eine reifere Chinesin wartet schon länger draußen vor der Tür. Ob sie auf ihren Mann wartet oder will sie hier die Toilette benutzen? Letzteres würde durchaus Sinn machen, denn bekanntlich sind Herrentoiletten meist sauberer als Damentoiletten. Unser linkes Klo könnte ich ihr guten Gewissens dennoch nicht empfehlen. Während sie weiter wartet, mache ich mich schon auf den Weg durch die Felsbrocken zum Schlafgemach.
Der Morgen gleicht dem gestrigen. Die Sonne scheint, Peter hat wieder nicht geschlafen und schimpft wie ein Rohrspatz über mich. Auch ich habe kaum geschlafen. Schlaflosigkeit liegt nun mal an der Höhe, hat Sahidi schon mehrfach bestätigt. Sogar der Porridge, von dem ich mir diesmal drei Kellen nehme, schmeckt wie gestern. Nur draußen ist es heute anders. Keine Wolke steht am Himmel. Phantastisch sind die beiden Gipfelmassive des Kilimanjaro zu sehen. Besonders beeindruckend wirkt die bizarre Krone des Mawenzi, die über einen nahen Berghang schaut. Weitaus harmloser erscheint dagegen der Kili-Gipfel mit seiner fast glatten Rückenform. Nur die linke obere Kante leuchtet im Weiß der Gletscher, das Gestein ist rötlich. Von Schnee ist nichts mehr zu sehen. Trotz Ruhetag wollen wir heute eine kleine Wanderung zu den Zebra Rocks unternehmen, 'läppische' 400 Meter höher. Sahidi meint, dass dieser Exkurs die beste Vorbereitung für den kommenden Gipfelsturm sei. Es hat uns überzeugt, also wandern wir los, natürlich aufwärts. Parallel zum Senecienwald führt der Pfad nach oben. Die Bäume begeistern mich immer noch. Obgleich wir heute wesentlich steiler aufsteigen als die letzten beiden Tage, geht es problemlos voran. Es macht sogar Spaß bei dem warmen Sonnenschein.
Desöfteren bleibe ich stehen und drehe mich um. Mich fasziniert es einfach, über den abfallenden Hang direkt in das tief liegende, wabernde Wolkenmeer zu schauen. Man sieht und spürt förmlich die Höhe von gut 4.000 Metern. Eine dunkle Felsstufe, schon seit längerem sichtbar, rückt allmählich näher. Die einzigen, die hier herauf wandern sind wir nicht. Hin und wieder sehe ich nämlich oberhalb am Hang Gestalten auftauchen und wieder verschwinden. Auch hinter uns wird es lebendig. Zwei Stunden dürften mittlerweile vergangen sein, dann wird mir klar, was es mit den Zebra Rocks auf sich hat. Schwarz-weiß gestreift wie ein Zebra sind hier einige Flächen der Felsstufe. Das war's allerdings schon. Am Schönsten finde ich die bunt gekleideten Menschen, die vor den Zebras herum wuseln und fotografieren. Natürlich klicken auch die Kameras von Arnd und mir; der arme Peter soll seine Erinnerungsbilder bekommen. Durch die Felsstufe kann man sogar nach oben kraxeln. Und genau so entschwindet jetzt die Gruppe vor uns. Sahidi macht es ihnen nach und seine drei Schäfchen müssen folgen. Es hat sich aber gelohnt.
Wir stehen auf einem kleinen Gipfel und haben Rundumblick. Eine Wucht ist der recht nahe, königliche Mawenzi mit seiner Zackenkrone. Knapp 5.200 m ist auch er und noch teilweise schneebedeckt. Dieser Gipfel ist eindeutig mein Favorit, er wird uns nicht mehr aus den Augen kommen. Drüben, entfernter, das Gipfelmassiv des Kilimanjaro; noch sehe ich es ganz locker, es hat nichts Schlimmes an sich. Kahl, weitläufig, geschwungen erscheint das ganze Gebiet in dieser Höhe. Ein niederer Bergrücken verbindet die beiden Gipfel. Und unten in der Senke zeichnet sich unser morgiger Weg zur Kibo-Hütte in 4.700 m Höhe ab. Ich meine, die Hütte sogar zu sehen. Eine Zeitlang sitzen wir hier oben, schauen mal in die eine, mal in die andere Richtung. Jeder hängt seinen Gedanken nach, die sicherlich um die Besteigung des Kilimanjaro kreisen. Schaffen wir es, dort hinauf zu kommen oder nicht? In Richtung des Kibo-Weges erfolgt der Aufbruch. Gemütlich und sacht geht es hier hinab. Die Vegetation beginnt wieder mit niedrigem, silbern wirkendem Buschwerk. Ich tappe hinter Peter her, genieße dabei die weite, abwärts geneigte Umgebung sowie die von unten herauf kriechenden Wolken. Der Kiboweg ist erreicht; auf ihm geht es weiter bergab.
Die Büsche werden höher und grüner, je tiefer wir kommen. Der Weg wird zu einer Schotterpiste. Von rechts mündet ein Pfad ein. 'Kibo South Circuit Barranco & Barafu Huts' steht auf einem Schild, dem ersten außerhalb der Camps. Meine geliebten Senecien tauchen wieder auf. Irgendwas scheint mit Arnd nicht zu stimmen, denn noch nie habe ich ihn am Wegesrand sitzen sehen. Er winkt aber nur ab, will nicht gleich bemuttert werden. Was genau mit ihm los ist, erfahre ich nicht. Jedenfalls muss er sich jetzt von Sahidi stützen lassen, denn alleine schafft er es nicht mehr. Unsere schöne Reihenfolge ist dahin. Peter übernimmt die Führung und wandert los; mein pole, pole nützt mir nichts mehr, ich bleibe zweiter, bis Horombo erreicht ist. Reichlich Zeit bleibt noch bis zum Abendessen. Die Bühne für das heutige Wolkenspiel ist bereits geöffnet. Einen Logenplatz will ich mir diesmal suchen. Nicht weit vom Camp entfernt, wächst ein felsiger Bergkamm aus dem Hang heraus. Und dort haben es sich schon einige Leutchen bequem gemacht. Alsbald sitze auch ich dort, die Show kann beginnen.
Licht und Schatten ist das heutige Motto. Deshalb sitzt meine Wenigkeit auch erst mal in der Sonne, die weiter vorne Sitzenden dagegen im Schatten. Leider wandern meine Sonnenstrahlen jetzt weiter zur Seite, bestrahlen erst den Horombohang, ziehen dann über die lange Gesteinskette auf dem Nachbarhang und erlöschen allmählich. Weiter unten öffnen sich jetzt dafür mehrere Wolkenfenster und die Sonne beginnt dort zu wandern. Wie es den Wolken nun mal gefällt, verteilt sich Licht und Schatten über die gesamte Flankenseite des Kilimanjaro bis tief hinunter, verändert sich jedoch im steten Wechsel. Ein kleiner, grün bewachsener Seitenvulkan weit unten wird gerade angestrahlt, während seine Umgebung in tiefem Schatten verbleibt. Gesellschaft bekomme ich an meinem Ort; einer der hiesigen Rabenvögel hat sich fast neben mich gesetzt. Riesig sind sie mit kräftigem Schnabel und beherrschen offenbar Horombo. Beim Abendessen sitzt diesmal das Wiener Pärchen bei uns. Sie essen - wie schon gestern - Fleisch, was unseren lieben Arnd mit Blick auf seinen Teller missmutig stimmt. Sahidi wird auf dieses Manko in unserem Speiseplan hingewiesen, worauf er wiederum unseren zuständigen Koch befragt und dieser bei seiner sofortigen Vorsprache uns treuherzig Besserung beim nächsten Einkauf unten im Dorf gelobt.
Ein herrlicher Sternenhimmel zeigt sich heute. Peter und ich stehen draußen in der Dunkelheit, rauchen ein Zigarettchen und suchen vergeblich nach dem Kreuz des Südens. Auch nach der zweiten Zigarette ist es noch nicht gefunden. Lediglich den Orion haben wir vor dem Schlafengehen identifiziert. Natürlich muss irgendwann nachts wieder das Bier raus. Der Sternenhimmel ist noch intensiver. Soll ich wirklich den Weg durch die Felsbrocken suchen, frage ich mich bei der Kälte der Nacht. Das Knarren einer Tür um die Ecke lässt mich die Suche aufnehmen. Nur wo ist der andere, frage ich mich am Klo. Schon eine bodenlose Frechheit, mich so zu verarschen. Das Procedere am nächsten Morgen ist bereits hinreichend bekannt; außer vielleicht der Tatsache, dass ich unseren gutmütigen Peter noch niemals so böse erlebt habe. Die drei Flaschen werden wieder aufgefüllt, mit je einer Mineraltablette versetzt, das Rucksäckle geschultert, noch etwas Sonnencreme ins Gesicht und Handrücken, das Käppi aufgesetzt und schon sind wir abmarschbereit. Auch heute liegen ca. 11 km vor uns und ein Höhenunterschied von etwa 1.000 m. Gespannt erwartet die Kibo-Hütte uns drei Opas auf 4.700 Metern Höhe; nur 100 Meter weniger als der Mont Blanc.
Die erste Strecke kennen wir ja bereits von gestern her, nur brauchen wir diesmal erheblich länger bis zum Abzweig Richtung Zebra Rocks. Zur Anspornung sehen wir dafür aber ständig unser Ziel, den Kili-Gipfel vor uns und den Mawenzi auf der rechten Seite. Kräftig kracht die Sonne vom fast wolkenlosen Himmel. Sahidi meint, zum Schutz sollten wir lieber die Handschuhe überziehen. Zum Glück habe ich zufällig die leichten Innenhandschuhe dabei. Peter bereut sein Versäumnis; es war ja nicht bekannt, dass Handschuhe auch bei Hitze gute Dienste leisten. Ein schlimmer Sonnenbrand wird ihn noch plagen. Eine Höhe ist erreicht, danach geht es wieder etwas bergab. Ausruhen sollte auch mal sein. Trinken ist hier angesagt, obgleich sich mein Durst weiterhin in Grenzen hält. Immer wieder wundert es mich, wie viele Leute unterwegs sind. Vor uns, hinter uns, überall auf dem weit einsehbaren Weg wandern Menschen. Die Reihenfolge in unserer Gruppe stimmt ebenfalls, Arnd hat keine Probleme mehr und marschiert - wie gehabt - mit Sahidi vorne weg. Ganz allmählich rückt das Gipfelmassiv des Kilimanjaro näher, wird mächtiger.
Die altbekannte Frage steht für mich erneut im Raum. Woher kommen heute die 1.000 Höhenmeter. Denn seit Horombo ging es nur sehr, sehr moderat nach oben, häufig sogar - wie im meine - fast ebenerdig. Von Problemen in den Beinen oder im Kopf oder Lunge oder sonstwo, keine Spur. Auch bei Peter und Arnd scheint alles in Ordnung. Eine Art Jausenstation mit Tischen, Bänken und im Hintergrund zweier Klohäuschen taucht vor uns auf. 'Last waterpoint' steht auf einem Schild zu lesen. Wir machen Station, kramen im Luchpaket, schlucken aus der Pulle, dann geht's weiter. Andere nehmen unsere Plätze ein. Auf langer, fast gerader Strecke tappen wir direkt auf den Kilimanjaro zu. Nur minimal ist auch hier die Steigung. Weit vorne wachen zwei kleine Berge in Kegelform am Fuß des Massivs. Dahinter muss wohl die Kibo-Hütte liegen. Bin mal gespannt, wie der Weg an den beiden Kegeln vorbei führt. Er nimmt die weiteste Strecke, er geht um sie herum und wir natürlich mit. An einem Trümmerfeld von Felsstücken hat es sich unsere chinesische Gruppe bequem gemacht. Sahidi steuert ebenfalls dort hin. Auch unseren Beinen tut es gut, vor der letzten Etappe noch etwas auszuruhen.
Die hübsche Chinesin sitzt in meiner Nähe und ist kräftig am spachteln. Nicht im Gesicht, sondern aus ihrem Lunchpaket. Eigentlich wundert es mich, dass sie sich hier vergnügt und nicht an besserem Ort. Es spricht aber für sie. Ihre Gruppe macht sich wieder auf den Weg. Wir bleiben noch etwas und müssen auf die Rabenvögel aufpassen, die einem sonst den Bissen aus dem Mund klauen. Mächtige Wolken sind im Anmarsch. Der Mawenzi ist bereits total verschwunden, den Kili sieht man nur noch zur Hälfte. Auch auf uns rollt über die Hügel eine Wolkenfront zu. Wir wandern los. In Schlangenlinie nähern wir uns dem Fuß des Kilimanjaro. Die Kibo-Hütte habe ich gerade noch entdeckt, bevor der Wolkenvorhang zuzieht. Dann werden auch wir von Wolken eingehüllt. Es verdunkelt sich die Landschaft, schlagartig wird es kalt. Die warme Fleecejacke muss jetzt her. Die dichtesten Wolken sind offenbar durchgezogen, denn die Sicht wird besser. Aufwärts geht es jetzt, das eigentliche Gipfelmassiv ist erreicht. Vor mir lässt Arnd gerade ein Siegerbild von sich machen, vermutlich sind wir drei Geplagten aber alle drauf. Das Ziel, die Kibohütte, liegt vor Augen und dann ist es tatsächlich geschafft. Ein Schild beweist: 'Welcome to Kibo Hut 4.700 M ALT'. Mit diesem Gruß und eigenem Konterfei auf einem Photo kommt jeder nach Hause; Peter sogar ohne funktionierende Kamera.
Das erste Zigarettchen auf Kibo Hut schmeckt vorzüglich. Noch stehen wir draußen und warten auf die Zuteilung unserer Unterkunft. Die Kibo Hütte ist - wie wir jetzt sehen - tatsächlich keine Hütte, sondern ein längeres Parterrehaus aus Stein mit normalem Dach. Drei weitere Häuschen stehen zwischen den gewaltigen Felsen und weiter hinten gibt's noch ein zweistöckiges Haus im Rohbau. Sahidi führt uns in die Kibo-Hütte, erste Tür rechts im Flur. Wie in einem Bienenstock geht es zu. Recht ungemütlich, einfach und eng ist es im Haus. 6 doppelstöckige Betten sowie ein Tisch mit 4 Stühlen füllen unser Zimmer voll aus. Die lange Kölnerin mit ihren beiden Männern und auch das Wiener Paar haben sich bereits eingerichtet. Wir drei Opas richten uns sicherheitshalber Parterre ein, während die pummelige Wienerin sich gerade über Arnd ins Bett quält. Gott sei Dank bleibt es über mir frei, so dass dort unser Gepäck gut griffbereit liegen kann. Das hiesige Klo will ich noch besuchen. Hinter dem Haus abwärts stehen 5 Einheitsklos ohne Schüssel, jedoch mit Loch im Boden. Man darf überall drauf. Und dort höre ich gerade weibliches Jammern. 'Hilf mir doch endlich, ich krieg die Tür nicht auf.' Ihr Angebeteter schafft es von außen und befreit das verstörte Mädchen. Die Tür merke ich mir.
Wirklich kalt und windig ist es draußen. Drinnen ist es auch nicht viel wärmer und fürchterlich zugig, wenn man - wie ich - direkt neben der Tür sein Bett hat und jeder die Tür offen lässt. Um 22.30 Uhr ist heute Nacht wecken, hat Sahidi angekündigt, Frühstück um 23.00 Uhr und Abmarsch spätestens um 23.30. Auf dem Bett liege ich und mache mir letzte Gedanken, welche Klamotten ich für den Aufstieg zum Gipfel tatsächlich anziehen soll. 2 lange Unterhosen, 2 Unterhemden sind klar, die zweite Garnitur muss ich aber noch drüber ziehen. Nur wieviele Pullover ziehe ich übers Hemd? Zwei oder drei? Für 2 entscheide ich mich, der Dritte kommt in den Rucksack. Ich springe aus dem Bett, lege schon mal diese Sachen zurecht. Wieder im Bett fällt mir ein: Verflixt, die Reservebatterien für die Kamera müssen mit und auch für die Stirnlampe. Also raus aus dem Bett. Beim Kramen in der Tasche kommt mir doch tatsächlich der Flachmann in die Hand. Warum eigentlich nicht? denke ich mir. Ein kräftiger Schluck zur Feier des Tages kann sicher nicht schaden. Zufällig geht mein Blick zum Fenster. Ich glaube, ich sehe nicht recht. Es schneit draußen. Das fehlt uns gerade noch für den Gipfelsturm in der Nacht.
Vom Blick vor der Tür, bin ich wenig erbaut. Fast dunkel ist es draußen geworden, obgleich es gerade mal um die 5.00 Uhr nachmittags ist. Starker Wind weht mir Schneeflocken ins Gesicht. Ich lege mich lieber wieder aufs Bett und hoffe, dass es besser wird. Warum müssen wir auch nachts nach oben? Ich weiß ja warum. Einmal soll der Aufstieg bei dem nächtlich gefrorenen Boden leichter sein, andererseits ist meist nur morgens der Gipfel wolkenfrei und bietet Sicht. Logisch, dennoch stink's mir. Das Schneien hört auf, es wird heller. Ich gehe wieder vor die Tür. Klar ist die Luft geworden. Tief unter uns liegt eine geschlossene, tiefblaue Wolkendecke, über uns ebenfalls. Dazwischen ist am Horizont hellblauer Himmel mit einigen aufplusternden, weißen Wolken zu sehen. Der vor mir abfallende Hang erscheint fast schwarz, weiter unten mit Schneestreifen versetzt. Und rechter Hand erhebt erhebt sich königlich der Mawenzi in den hellen Zwischeraum. Wunderbar zeichnen sich die dunklen Konturen des Berges ab. Weiß gepudert ist er jetzt an vielen Stellen. Ich bin begeistert von dem Blick. Auch andere haben sich draußen eingefunden. Ein Zigarettchen zünde ich mir an. Als habe er nur darauf gewartet, eilt jemand auf mich zu. Freudig lächelnde Schlitzaugen und eine Zigarette tanzen vor mir. Der Ärmste, auf der Höhe streikt sein Feuerzeug. Unter tausend Verbeugungen zieht er sich dankend zurück.
Erst jetzt werde ich mir der vielen Igluzelte bewusst, die vor der Kibohütte aufgebaut worden sind. Mit Schnee bedeckt sind sie jetzt alle. Gerade krabbelt einer rein, er tut mir wirklich leid. Vielleicht sind sie über andere Routen gekommen. Ich gehe ins Haus zurück, denn das Abendessen ist im Anmarsch und richtig dunkel wird es auch. Vier Stühle, essen wollen aber Neun. Nach einander ist also angesagt, der Rest sitzt unten im Bett oder lässt oben die Beine baumeln. Von Anspannung wegen des bevorstehenden Aufstiegs ist nicht viel zu merken. Zumindest tut jeder so, als sei es die normalste Sache der Welt. Vor dem Schlafengehen schnappe ich mir nochmal das Klopapier. Vorsichtig tappe ich über den Schnee das kleine Stück abwärts. Der Treppensturz steckt mir noch im Nacken. Eins, zwei, drei, das dritte Klo ist tabu. Nummer 2 sieht auch drinnen ganz annehmbar aus. Die vielen Klamotten sind eher das Problem. Geschafft. Was ist mit der Tür los? Sie klemmt irgendwo. Oder geht das dumme Ding nach außen auf? Ich drücke, ziehe, die Tür bleibt zu. Jetzt verstehe ich das Mädchen. Hier hilft nur noch Brachialgewalt, wenn ich wirklich auf den Kilimanjaro will. Mit voller Wucht schmeiße ich mich gegen die Tür. Es war die richtige Richtung, die Tür ist auf. Also 2 und 3 merke ich mir für den morgigen Rückweg.
Dass ich heute schlafen kann, glaube ich eher nicht. Peter sieht jedenfalls so aus, als ob er schon schläft. Arnd ohnehin. Auch die anderen liegen bereits eingemummelt in ihren Schlafsäcken, als ich glücklich vom Klo zurückkehre. Ich mache das Licht aus. Bei der Dunkelheit fangen die Gedanken an zu wandern. Eigentlich hatte ich mir ja gesagt, wenn ich die Kibo-Hütte erreichen sollte, dann bin ich bereits voll zufrieden. Jetzt bin ich da und nicht mal erschöpft. Auch die Höhe hat mir nichts ausgemacht. Ich könnte es vielleicht sogar schaffen. Gemach, gemach. Ich sehe wieder das Gipfelmassiv von heute Nachmittag vor Augen und mir ist klar, die Kilimanjaro-Besteigung beginnt heute überhaupt erst. Bis jetzt war es nur ein Vorgeplänkel, nicht mehr. Auf jeden Fall breche ich den Aufstieg sofort ab, wenn ich Probleme bekomme, das nehme ich mir strikt vor und habe ich Gabi auch fest versprochen. Dabei muss es bleiben, selbst wenn Peter und Arnd weitersteigen. Gut, dass wir verabredet haben, dass jeder völlig unabhängig vom anderen, nur für sich entscheidet. Jeder hat - auf Sahidis Rat - deshalb auch einen eigenen Führer für diesen letzten Aufstieg bekommen. Beweisen muss ich mir in meinem Alter ohnehin nichts mehr.
Schon vor 22.00 Uhr beginnt ein Kommen und Gehen im Zimmer. Jedesmal zieht ein Schwall saukalter Luft über mich. Es sind die Waiter, die das Frühstück für die Gruppen in Einzelteilen bringen. Das Licht bleibt natürlich meist an. Geschlafen habe ich sowieso nicht, wie ich meine. Als erster aufstehen, will ich aber auch nicht. Sahidi kommt offiziell wecken. Unruhe herrscht jetzt im ganzen Haus, ein Getrappel hin und her, babylonisches Sprachgewirr. Der Porridge ist das einzige, was bei mir rutschen will. Drei Kellen nehme ich deshalb, um eine solide Grundlage für die kommende Anstrengung zu haben. Kaffee gibt's oben drauf. Auf die Toilette muss ich auch noch mal. Kalt ist es draußen und Sterne sind zu sehen. Das Wetter ist also ok, was mich freut. Vor dem Klo habe ich mittlerweile große Achtung. Die Nummer 1 soll es heute sein und die kann ich jedem empfehlen, zumindest wegen der phantastisch beweglichen Tür. Außerhalb der Kibo-Hütte lege ich noch eine Pause ein. Eine Zigarette will ich mir genehmigen. Und siehe da, mein schlitzäugiger Freund ist schon zur Stelle. Zusammen schmauchen wir genüsslich unsere Zigarette an der frischen Luft.
Habe ich wirklich alles dabei? Gut, dass alles sonstige hier in der Hütte bleiben kann, denn spätestens morgen Vormittag sind wir so oder so wieder hier. Die Stirnlampe wird übergestreift; Gott sei Dank funktioniert sie jetzt. Der Schreck vom Nachmittag liegt mir noch in den Knochen, denn da tat sich gar nichts. Statt vier waren nur drei Batterien eingesetzt, wieso auch immer. Rucksack drüber, die dicken Handschuhe an, von mir aus kann es losgehen. Auch Arnd und Peter sind abmarschbereit. Ein Photo soll aber noch sein. Der neue, dritte Führer für 20 Dollar wird von Sahidi vorgestellt, dann geht es in die Dunkelheit hinein und wie es leider nicht anders sein kann, gleich hinter der Kibo-Hütte aufwärts. Die Stunden der Wahrheit sind für jedermann gekommen. Und dafür sind wir um die halbe Welt gereist, um mitten in der Nacht für sehr viel Geld, ohne jede Sicht stundenlang auf einen Berg zu klettern, nur weil er Kilimanjaro heißt. Wie blöd sind wir eigentlich? Welch herrliches Leben hätten wir für das Geld haben können. Vielleicht irgendwo in lauer Nacht am Strand liegen, von hübschen Frauen umsorgt, mit einem Cocktail in der Hand, leiser Musik im Hintergrund, wiegenden Palmen und funkelnden Sternen über uns.
Immerhin sehe ich ein paar Sterne hoch über mir glitzern, wenn ich den Kopf weit genug in den Nacken lege. Ansonsten herrscht tiefe Dunkelheit um uns herum, vor allem vor uns. Wie eine stockfinstere Wand erhebt sich himmelhoch das Massiv, an dem wir hochklettern sollen. Lediglich die Stirnlampen der Gruppenmitglieder beleuchten den jeweiligen Vordermann und einen kleinen Ausschnitt des Weges. Vor mir tappt, wie ich es gewöhnt bin, Peter dahin, immer schön einen Schritt nach dem anderen, die Stöcke folgen dem jeweiligen Bein. Ich habe den Eindruck, dass Sahidi heute ganz besonders pole, pole geht, denn selbst ich würde ein bißchen mehr ausschreiten. Er wird schon wissen, warum. Gesprochen wird kein Wort, jeder ist in sich selbst vertieft und denkt offenbar, hoffentlich, hoffentlich schaffe ich es. Noch geht der steinige Pfad mäßig aufwärts, wenn auch stärker als üblich während der letzten Tage. Von der Kibo-Hütte ist kein Licht mehr zu sehen, wir sind um eine Felsecke gebogen. Dafür tauchen vor uns, schon erhöht, diverse Lichtlein auf, die wie Sterne wirken. Sie scheinen sich jedoch zu bewegen; es sind offenbar Gruppen, die schon vor uns aufgebrochen sind.
Noch näher sind wir an die Wand gerückt. Die wandernden Sternchen haben sich vermehrt, sind jetzt fast über uns. In verschiedene Richtungen scheinen sie laufen, jedoch immer irgendwie nach oben. Auch für uns wird es mühsamer, der Weg ist steiler geworden. Nach links geht es jetzt weiter hoch. Das Tempo von Sahidi ist jetzt auch für mich genau richtig. Ich schaue nur noch auf die Füße von Peter und die bewegen sich wie bei einem alten Mann. Linkes Bein schlurfend vor, rechtes Bein schlurfend vor und wieder linkes Bein. Wirklich in absoluter Zeitlupe wandert die Gruppe dahin und ich wandere mit. Nach rechts biegen die Beine von Peter jetzt ab, also biege ich auch ab. Aufwärts geht's nunmehr in diese Richtung. Mir ist es egal. Wieder ein Wende und wieder und wieder. Offenbar führt der Weg in weiten Serpentinen nach oben. Auch unter uns haben sich mittlerweile Lichter in die Prozession eingereiht. Zu weit nach rechts darf ich nicht mehr. Recht steil geht es mittlerweile nach unten. Wir können wirklich froh sein, dass der Weg einigermaßen fest ist, denke ich und kein Schnee liegt. Hier hat es Gott sei Dank wohl nicht geschneit.
Die Serpentinen sind enger und steiler ist es auch geworden. Ich komme mir vor, als ob ich auf Treppen nach oben steigen muss. Und das schon seit ... Ja, wie lange sind wir jetzt schon unterwegs? Zwei, drei Stunden? Ich weiß es nicht, auf die Uhr will ich auch nicht schauen. Es könnte eine große Enttäuschung sein. Ein Zeitgefühl habe ich nämlich nicht mehr. Jeglicher Anhaltspunkt fehlt. Man sieht ja nichts außer den Beinen von Peter und die laufen schon ewig wie ein Uhrwerk, linkes Bein vor, rechtes Bein vor, linkes Bein vor ... Echte Pausen werden nicht gemacht. Lediglich hin und wieder ein kleiner Stop, um nach der Flasche zu greifen. Die bekommt man vom Nachbarn gereicht, der sie aus dem Rucksack zieht und wieder hinein steckt. Dann geht's weiter aufwärts. Setzen sollte man sich nicht, meint Sahidi, sonst fällt das Steigen noch schwerer. Wieder schau ich mal nach oben. Es ist das Schönste für mich. Überall wandernde Sterne bis in den Himmel, der jetzt selbst sternenübersät ist. Bis wohin sind es Wanderer, wo beginnen tatsächlich die Sterne. Es ist schwer zu sagen, denn lange stehen bleiben, will ich nicht.
Besonders herrlich anzuschauen sind die tiefer wandernden Sterne. Sie kommen nämlich in verschieden Farben daher, in Rot, Grün, Blau, manche sogar in Bunt. Offenbar sieht man nur die von den Stirnlampen angestrahlten Rücken der Vorderleute wandern. Dazwischen strahlen jedoch einzelne Sterne in blendend hellem Silber. Vielleicht schaut jemand von oben zu uns herunter. Nur sehr, sehr langsam verändert sich das schöne Bild. Manche Sterne verlöschen, andere strahlen neu auf. Ich muss mich sputen, Peter ist schon gut 10 Schritte weiter. Nur unsere Schritte sind auf dem Gestein zu hören, hin und wieder auch ein Stolpern, selten ein Wort. Jeder ist mit sich selbst und der verfluchten Steigung beschäftigt. Meine Beine spüre ich allmählich; es geht ausschließlich und unverändert kräftig aufwärts. Nicht mal eine kleine Strecke ebenerdig, um wenigstens ein bißchen ausruhen zu können. Wie angenehm waren doch die ersten Tage. Von wegen Coca-Cola-Route. Die letzten 1.000 Höhenmeter hat sich der Cola-Mensch offenbar tragen lassen.
Peters Beine vor mir tappen Schritt für Schritt voran. Täusche ich mich oder nicht? Irgendwie sieht es eigenartig aus, wie er jetzt läuft. Eine der 1.000 Kehren steht an. Was ich noch nie gesehen habe, Peters Beine werden wie Gummi, wandern zur Seite und scheinen zu kreisen. Umgehend stütze ich ihn, jemand kommt schnell hinzu. Wir können ihn gerade so halten. Selbst Peter ist jetzt klar und er sagt es auch: Ich muss zurück. Arnd und ich geben ihm voll und ganz Recht. Sahidi hätte ihn ohnehin nicht weiter laufen lassen, die Führer sind bei Problemen, insbesondere wegen der Höhe, absolut konsequent. Wallace will Peter nach unten bringen, stützt ihn und schon gehen die Beiden abwärts. Nur noch zu viert sind wir jetzt also. Wir steigen weiter nach oben. Eine wesentlich strammere Hose läuft jetzt vor mir, es ist Arnd. Die Beine bewegen sich aber auch nicht schneller. Linkes Bein hoch und vorgesetzt, rechtes Bein hoch und vorgesetzt, linkes ... Dem Kilimanjaro traue ich zu, selbst die hübscheste, junge Frau von hinten als Oma erscheinen zu lassen. Kalt ist es hier oben, mit Sicherheit einige Grade unter Null. Dennoch merken wir es nicht wirklich, das unveränderte Steigen lässt das Blut wallen.
Wieder schaue ich mal nach oben. Das gleiche faszinierende Bild, wie sicherlich schon seit Stunden. Sterne die wandern und Sterne, die nicht wandern. Die schwarze Wand bleibt unverändert himmelhoch. Auch unter uns wandern weiterhin Sterne. Mehr ist jedoch nicht zu sehen, außer Dunkelheit. Besonders steil quälen wir uns jetzt hoch. Ein Absatz wird endlich erreicht und ich traue fast meinen Augen nicht, ein Höhlentor tut sich vor uns auf, in dem einige Gestalten bei trübem Licht kauern. Es muss die Hans Meyer Cave sein, von der ich gelesen hatte. Genau in der Mitte zwischen Gilman's Point am Kraterrand und der Kibo Hütte soll die Höhle auf 5.150 m Höhe liegen. Schon gut 300 m höher als der Mont Blanc, Europas höchstem Berg, stelle ich mit gewissem Stolz fest. Auch wir lassen uns auf einem Felsbrocken nieder. Es tut unendlich gut, mal wieder zu sitzen, das Rucksäckle abzulegen und einfach auszuspannen. Die Wasserflasche wird angesetzt; erstmalig habe ich wirklich Durst und trinke nicht nur, weil man viel trinken soll. Erst jetzt erkenne ich das Pärchen, das eng neben einander am Boden sitzt und geschafft aussieht. Es sind unsere beiden Wiener. Ich wusste gar nicht, dass sie vor uns los gegangen waren.
Wie lange wir schon wieder unterwegs sind, kann ich nicht sagen. Ich meine endlos. Beim Blick nach oben, es hat sich nichts verändert. Irgendwann muss es sich doch ändern, denke ich schon das x-te Mal. Mir reicht es allmählich, die Beine sind müde und der ganze Kerl ist schon ordentlich geschafft. Aber weiter, weiter, steigen, steigen. Irgendwann wird eine Pinkelpause eingelegt. Ein hünenhafter Bursche kommt zurück und ich frage mich, wer das ist. Es muss einfach Sahidi sein, aber so gewaltig habe ich ihn noch nie gesehen. Leide ich schon an Halluzinationen? Wir steigen weiter. Ich sehe kein Ende der Klettertour. Auch die Sterne wandern nach wie vor über uns. Ich will jetzt zurück und sage es Arnd. Er beschwichtigt mich, redet auf mich ein, doch weiter zu machen. Wenigstens ein Stück. Wie lange dauert es noch bis nach oben, frage ich Sahidi. Eine Stunde oder so, meint er, konkreter wird er nicht. Ich reiße mich zusammen und aufwärts geht's. Irgendwann will ich wieder nicht, tappe dann aber Arnd zuliebe erneut los. Wir werden tatsächlich von drei Männern überholt. Es ist mir jedoch Schnurz und Pipe.
Die Stunde müsste längst vorbei sein, ebenfalls das 'oder so'. Ein Ende ist dennoch nicht in Sicht. Arnd bleibt mitten auf dem Weg stehen, ich natürlich ebenfalls, die beiden Führer machen's nach. Was ist los? frage ich. Arnd hat Kopfschmerzen und Brechreiz, unzweifelhaft typische Anzeichen einer beginnenden Höhenkrankheit. Und was das heißt, weiß jeder von uns. Arnd muß umgehend absteigen, der Traum von einer Besteigung des Kilimanjaro ist auch für ihn geplatzt. Bleibe nur noch ich. Ein Blick hinauf zu den weiterhin wandernden Sternen macht mir die Entscheidung leicht. Ich gehe gleichfalls zurück. Nicht aus Solidarität mit Arnd, ich sehe nur kein Ende dieser Bergbesteigung. Mir reicht's einfach, ich bin kaputt. Schnell reagieren unsere Führer. Arnd soll von Sahidi nach unten gebracht werden. Mich schnappt der Neue für 20 Dollar am linken Arm, presst ihn wie in einen Schraubstock und schon geht es abwärts, dass mir hören und sehen vergeht. Diesen rasanten Abstieg werde ich noch weniger vergessen, als das ewige Höhersteigen auf den Kilimanjaro unter wandernden Sternen bei Nacht.
Der rechte Stock steckt im meiner rechten Hand, der linke Stock in der linken Hand des 20-Dollar-Mannes. Eng wie ein Ehepaar kleben wir aneinander. Nur gut, dass mich keiner sieht. Andererseits würde wohl auch kein Mensch glauben, dass ein liebendes Paar derart rasant vom Kilimanjaro herunter gerannt kommt. Denn anders als rennen, kann ich es nicht bezeichnen. Wirklich im Laufschritt geht es abwärts. Mal rutscht mein rechter Fuß auf dem Kies und Geröll nach vorn, mal mein linker Fuß, ich werde vom Kompagnon abgefangen oder es läuft auch umgekehrt und ich fange ihn ab. Dass wir nicht gemeinsam gestürzt und den Kili hinunter gerollt sind, wundert mich noch heute. Leider versteht mein Partner kein Wort Englisch, sonst hätte ich ihm sagen können, dass nicht ich, sondern Arnd höhenkrank ist. Verständnisvoll nickt er aber zu meinen Sprachversuchen und rennt mit mir weiter. Gemütlich wäre es so schön gegangen. Offensichtlich laufen wir ein völlig neue Strecke, denn die Hans Meyer Cave hätte schon längst kommen müssen. Auch Arnd und Sahidi sind nirgends zu sehen, geschweige denn am überholen.
Das was ich jetzt zu berichten habe, habe ich tatsächlich bei unserem eiligen Durchlauf erlebt, bin mir aber bis heute nicht klar, ob es nur eine Halluzination gewesen ist. Denn meines Wissens habe ich noch nie gesponnen. Jedenfalls kommen wir von oben auf eine Wegkehre zugerannt, an der ein gewaltiger, beleuchteter Ballon in Gestalt eines farbig bekleideten Riesen zu sehen ist, der bis auf den Boden gebeugt scheint. Je näher wir ran kommen, um so mehr bläst er sich auf, erhebt sich und erreicht genau im Zeitpunkt unseres Durchlaufs seine volle, stehende Größe. Danach beugt er sich wieder, wie ich beim kurzen Rückblick sehen kann. Mein Begleiter kümmert sich nicht weiter um den Riesen, vielleicht kennt er ihn sogar mit Namen. Meine Beine sind nur noch ein Trümmerhaufen, vor allem die Zehen sind Schrott. Aber was bleibt mir, im Eilschritt geht es weiter abwärts, der Umklammerung entkomme ich nicht. Keine Pause, kein nichts. Ein rötlicher Schimmer erscheint am Himmel, wird intensiver. Endlich wird der Schritt langsamer, dann bleibt mein Partner vor einem Steinwall stehen. Meine Beine zittern wie Espenlaub, ich muss mich eine Zeit lang setzen.
Wir können weiter gehen. Es ist ein Genuss mal ebenerdig zu laufen. Vielleich 10 Minuten liegen hinter uns, dann ist wieder Halt. Ich soll hier warten, wird mir bedeutet. Mir solls recht sein, denn ich habe viel Nachholbedarf im Ruhen. Etwas heller ist es schon geworden. Ich höre entfernte Stimmen hinter mir und schaue mich um. Träume ich schon wieder? Ein Weg führt vom steinigen Berg herunter und fast schon unten kommt eine schwach beleuchte, kleine Gruppe langsam näher. In der Mitte ein Frau mit Schleier über Kopf und Schultern, zwei große Männer seitlich, knapp hinter ihr, ein Kleinerer knapp vor ihr. Es fehlt nur noch der Esel in diesem biblischen Bild. Wie Maria und Josef an Weihnachten kommen sie in Begleitung daher. An einem eckigen Steinhaus halten sie an und Maria setzt sich, dabei unterstützt von den Männern. Wunderschön und orientalisch wirkt dieses Idyll bei den leicht angestrahlten, farbigen Kleidungen. Es ist noch heller geworden. Die Schönheit des Bildes verblasst. Irgendwann kommt Arnd aus dem Bild, dann auch Sahidi. Wo ist Maria, denke ich nur noch oder spinne ich wirklich. Tatsächlich eine Frau mit Kopftuch kommt vorbei, wandert weiter ins nahe Steinfeld und setzt sich wieder. Auch das Steinhaus existiert in dieser Öde tatsächlich, was mich doch etwas beruhigt.
Natürlich erzähle ich Arnd und Peter nichts von meinen Erlebnissen mit dem Riesen und Maria und Josef. Ich muss mir erst mal selbst klar werden, was davon zu halten ist. Arndt ist ebenfalls fertig, er sitzt neben dem Felsweg und meditiert über Gott und die schlechte Welt, die ihm verweigert haben, den Gipfel des Kilimanjaro zu erklimmen. Offenbar knapst er kräftig am Misserfolg. Dennoch erzählt er mir, dass sie in der Hans Meyer Höhle einen schwarzen Führer am Boden liegend gefunden und bis nach unten geschleppt hätten. Vermutlich haben sie ihm das Leben gerettet. Ob es tatsächlich Wahrheit oder vielleicht auch eine Halluzination war? muss Arnd selbst entscheiden. Die Kibo Hütte ist zwar von hier zu sehen, doch noch weit entfernt. Ich mache mich schon mal auf, Arnd will später nachkommen. Das schönste Wetter begleitet mich bis zum Ziel. Und in der Hütte finde ich Peter im tiefsten Schlaf des Gerechten, unsere Wienerin schnarcht friedlich im Obergeschoss. Vielleicht hat Peter doch das bessere Los gezogen. Denn mehr als er, haben wir auch nicht gesehen, sind nur höher gekommen. Ob die Anstrengung das Wert war, wage ich zu bezweifeln. Auch ich lege mich ins Bett und hoffe sehr, wenigstens etwas zu schlafen. Bis zur Horombo Hütte müssen wir heute noch.
Das Haus erfüllt sich langsam mit Leben. Die Erfolgreichen trudeln offenbar nach und nach ein. Wie ich sehe, liegt Arnd jetzt auch im Bett. Peter hat die Augen auf, er ist schon über unser Scheitern informiert. Sicher war es Balsam für seine Seele, auch wenn ich glaube, dass er sich ehrlich gefreut hätte, wenn wenigstens einer von uns Dreien den Kilimanjaro bezwungen hätte. So aber fühlt jeder eine gewisse Leere in sich, der Schwung ist einfach raus. Wir haben es nicht geschafft, daran ist nicht zu deuteln. Sicher wird uns diese Pleite noch eine Zeit lang beschäftigen. Ich gehe erst mal raus in die warme Sonne und schmauche ein Zigarettchen. Schon geht's mir besser. Was hilft alles Jammern, wir müssen nehmen, wie es nun mal ist. Die Kölnerin mit ihren Männern kommt heran; sie haben es geschafft und sind glücklich. Auch Sahidi sehe ich wieder. Mich interessiert jetzt doch mal, wie hoch wir eigentlich gekommen sind. Er meint, so zwischen 5.500 und 5.600 Metern, Peter um die 5.000 Meter. Holla, das war knapp. Der Gilman's Point am Kraterrand ist gerade mal 5.685 Meter hoch und der berechtigt bereits zur Urkunde für die Besteigung des Kilimanjaro. Vielleicht hätte man doch ... Schluss, aus, das Thema muss für mich endgültig erledigt sein!
Ein Frühstück wird noch serviert. Danach soll möglichst bald Abmarsch sein, denn nach Horombo sind es immerhin um die 11 Kilometer. Hinters Haus will ich auch noch mal. Bedenkenlos wähle ich gleich die Nummer 1. In der Sonne sitzen jetzt so etliche Touristen und rauchen nach ihrem Erfolg genüsslich ein Zigarettchen. Ganz bewusst schaue ich mir jetzt nochmal den Kilimanjaro an. Denn so nahe werde ich ihm nie wieder kommen. Übermäßig gewaltig sieht er ja nicht aus, aber er ist nun mal die Krone von Afrika. Ein Mythos, eine Sehnsucht, etwas Besonderes, und diesen Kilimanjaro habe ich ausgekostet bis zur Neige. Auch wenn ich nicht ganz oben war, ich kenne ihn jetzt, wie ihn nur wenige kennen und das macht mich doch stolz. Einen wichtigen Mosaikstein, der schon so lange in meiner Lebensplanung fehlte, habe ich damit eingefügt. Mir wird keiner mehr etwas vormachen, wenn das Gespräch auf den höchsten Berg des Kontinents, den Kilimanjaro, kommt. Er ist jetzt keine Sehnsucht mehr für mich, ich kann ihm also beruhigt den Rücken kehren und mich neuen Zielen zuwenden, zumal das Nächste schon ansteht, die exotische Insel Sansibar. Für viele Menschen ein unerfüllbarer Traum, genau so wie der Kilimanjaro.
Ein letzter Blick geht zurück zu den Kibo Hütten am Fuße des Kilimanjaro. Erst gestern sind wir hier bei Nebel angekommen. Wie lange scheint das schon her. Peter hat es heute eilig; er setzt sich gleich an die Spitze. Arnd ist wieder mit Sahidi am diskutieren, aber eigentlich spricht hauptsächlich Arnd. Was mag er Sahidi alles zu sagen haben? ich muss ihn wirklich mal fragen. (Ich habe ihn auch gefragt: Sahidi hatte heute Geschichtsunterricht über deutsche Nachkriegszeit.) Der Mawenzi kommt wiederum nicht aus dem Blickfeld. Der Kilimanjaro liegt dagegen hinter uns. Die Strecke kennen wir, es ist die selbe wie gestern, nur umgekehrt. Irgendwo wird ein Halt gemacht. Heute Abend ist offizielle Verabschiedung für unsere Mannschaft, erinnert uns Arnd. Das Trinkgeld hatten wir bereits an Hand unverbindlicher Vorschläge von Elefant-Tours errechnet. Stolze 175 Dollar bedeutet es für jeden von uns Dreien. Und wer hält die Laudatio? steht noch im Raum. Peter und ich schauen Arnd unschuldig an. Nur er ist ein Macher in Englisch, was unser lieber Arnd Gott sei Dank nicht bestreiten kann, ihm jedoch mächtig stinkt. Wir können weiter gehen. Irgendwann am späten Nachmittag tauchen die schwarzen Dächer von Horombo unter uns auf. Wir drei sind endgültig erledigt.
Eine neue Hütte bekommen wir, genau vor dem Eingang der letzten Hütte. Den felsigen Weg zum Klo kennen wir deshalb. Bis zum Abendessen liege ich in der Koje und döse etwas dahin. Nach dem Essen marschiert die ganze Mannschaft draußen auf. Ich kann kaum glauben, dass wir ein solches Aufgebot hatten. Manche sehe ich wirklich das erste Mal. Hoffentlich erhalten nur Richtige ein Trinkgeld von uns. Arnd hebt zu seiner Rede an. Trotz Schuldirektor a.D. hat er das Reden nicht verlernt. Jede Rede würde ihm jetzt anvertrauen, auch in Chinesisch. Alle Schwarzen lauschen im Halbkreis wie Schüler, obgleich nur wenige Englisch verstehen. Peter ist zweckloserweise am Filmen (er lässt die Kamera in Frankfurt ja liegen), meine Wenigkeit macht Fotos. Der Applaus ist Arnd sicher, hat er doch erklärt, dass selbst der Koch - trotz des erheblichen Defizits beim Fleisch - ein gutes Trinkgeld erhält. Und nicht nur das, auch Klamotten von der Unterhose bis zu Handschuhen stehen zur Verteilung an. Kein Wunder im schwarzen Afrika, dass Tanz und Gesang den Abschluss unserer Veranstaltung krönen. Sogar der Himmel freut sich mit, denn erstmalig endet für uns ein Tag mit herrlichem Sonnenuntergang.
Der letzte Tag unseres Kilimanjaro-Abenteuers bricht an. Der Morgen ist anders als sonst. Zwar scheint die Sonne, doch Peter äußert keine besonderen Vorkommnisse der letzten Nacht. Er scheint diesmal - vielleicht vor Erschöpfung - geschlafen zu haben, denn ich wüßte nicht, dass ich mich beim Schlafen auf die Seite gelegt hätte. Frühstücken, packen, Flaschen füllen, eincremen und los kann es gehen. Bis zum Eingangstor müssen wir heute, etwa 20 km bergab. Vor allem meine Zehen schmerzen in den Schuhen. Dennoch genieße ich den weiten Blick vom Kilimanjaro hinab bis in die tiefe Ebene. Wie fast immer, Wallace sitzt mir im Nacken. Zur Abwechslung versuche ich mich - wie Arnd - mit einem Unterricht in deutscher Sprache. 'Guten Morgen, guten Tag, guten Appetit', Wallace wiederholt. Und noch Mal. Schon besser. Irgendwann gebe ich es aber auf. Wallace liegt die deutsche Sprache nicht. Die Mandara-Hütten tauchen auf, Zeit für eine längere Pause. Der Regenwald ist sicherlich der schönste Teil der Marangu Route. Erst ganz am Ende fängt es doch tatsächlich an zu tröpfeln. Vielleicht zehn Minuten dauert der Spuk, dann hört er auf und ich stehe vor dem Tor zum Eingang des Kilimanjaro National Park. 'Das war also unsere Besteigung des höchsten Berges von Afrika' steht in meinem Kopf.
Die ersten am Gate sind wir wiederum nicht. Viele Bergsteiger stehen schon am Office an, um sich die Urkunde als Beweis für ihre Besteigung des Kilimanjaro abzuholen. Neidisch wenden wir uns ab und dem Gepäck zu, das unsere Träger zum Abtransport mit dem Bus bereit gestellt haben. Die Mannschaft ist wieder vollzählig angetreten, was dafür spricht, dass unser Trinkgeld offenbar fürstlich war. Noch ein paar Fotos, Umarmungen, dann fährt der Bus mit drei enttäuschten Touristen ab. Im Marangu Hotel richtet uns der Vertreter von Elefant-Tours und eine Flasche mit dem Namen 'Kilimanjaro' bald wieder auf. Der Berg mit dem Namen 'Kilimanjaro' zieht es dagegen vor, sich heute nicht mehr zu zeigen. Recht hat er. Mit Genuss steht jeder nach sechs darbenden Tagen lange unter der heißen Dusche. Auch die Bartstoppeln müssen endlich weg; wie ein Landstreicher sehe ich aus. Zum Abendessen erscheinen wir geschniegelt und gebügelt und zudem in völlig ungewohntem, legeren Outfit. Man merkt und sieht, die Zivilisation hat uns wieder. Spät wird auch der heutige Abend nicht, denn morgen heißt es - wie bisher immer - früh aufstehen. Um 8.00 Uhr ist Abfahrt zum Flughafen, um 11.00 Uhr geht der Flieger nach Sansibar.
Mit Nichtachtung bestrafen wir den Kilimanjaro auf der Fahrt zum Flughafen. Um 10:00 Uhr sind wir dort und können gleich einchecken. Eine bunt bemalte Turbo Prop Maschine von Precision Air erwartet uns auf dem Flugfeld. Noch nie habe ich von dieser Fluggesellschaft gehört; Gott sei Dank auch nichts Negatives. Nur schwarze Frauen sollen manchmal im Cockpit sitzen, was mich eher tröstet. Auf der linken Seite zum Kilimanjaro sitze ich und zwischen den Wolken taucht er tatsächlich majestätisch auf. Ein letzter Blick hinüber zu unserer Pleite, dann ziehen die Usambara Berge und bald auch das Meer unter uns vorbei. Es ist der Indische Ozean. Nur ein Stunde dauert der Flug, die tropische Insel Sansibar ist ereicht. Zanzibar steht in großen Lettern auf dem Empfangsgebäude. Da Sansibar mit der Insel Pemba zu Tansania gehört, geht die Abfertigung schnell. Ein Kleinbus von unserem Hotel mit dem Namen 'Ocean Paradise Resort' erwartet uns bereits. Lange dauert die Fahrt durch 'Zanzibar City', die Hauptstadt der Insel. Meist flache Häuser stehen am Straßenrand, viele Menschen wandern an beiden Seiten entlang. Irgendwie wirkt die Stadt schmuddelig und verkommen auf mich, eben wie alle Städte in Schwarz-Afrika. Sie unterscheiden sich kaum. Auch ohne die schwarzen Menschen wüßte ich, ich bin in Afrika.
Die Stadt liegt hinter uns, üppiges Grün links und rechts. Palmen, Bananen, Papayas, Mangobäume, alles wächst hier. Ein Garten Eden. Hin und wieder tauchen niedrige, strohbedeckte Hütten im Grün auf, dann ein kleines Dörfchen. Und immer wandern Menschen mit und ohne Lasten die Straße entlang. Was mir besonders auffällt, sind die in Scharen überall herum laufenden Kinder in blau-weißer Einheitstracht. Es sind Schulkinder. Fruchtbar sind die Afrikaner nun wirklich und genug Zeit hat man auch. Nach Norden ging bislang die Fahrt, jetzt aber biegen wir in östliche Richtung ab, wo die meisten großen Hotels an den langen Stränden der Nord-Ost-Küste von Sansibar liegen. Einen Großteil der Insel lernen wir auf der Fahrt zum Hotel somit schon kennen. Gerodetes Gebiet ist zu Ackerland geworden und durch die abgeernteten Felder führt die erstaunlich gute Straße in Küstennähe wieder nach Norden. Rechter Hand zeigen pompöse Schilder eine Hotelanlage nach der anderen an. Ich lese auf dem hölzernen Segel einer Dau am Straßenrand: "Ocean Paradise Resort". Hier biegen wir ab, warten bis sich das exklusive Tor weit für uns geöffnet hat, steigen aus, gehen unter die strohbedeckte, luftige Eingangshalle und ... wahrlich ein Traum liegt vor unseren Augen.
Wiegende Palmen im Wind, blendend weißer Strand, rauschendes Meer in glitzerndem Grün und Blau, weit draußen ein weißer Streifen Gischt am Korallenriff und gleich dahinter das tiefblaue Wasser des freien Ozeans. Wir sind schlicht begeistert. Arnd klopft sich auf die Brust. 'Ich habe das ausgesucht.' sagt er stolz. Die Formalitäten sind schnell erledigt. Oben auf der Küstenstufe liegt der Hoteleingang mit Reception, Boutiquen und Frühstücksraum. Über eine Freitreppe wandern wir runter zu den Palmen und den dazwischen verstreuten Rundhäuschen mit spitzen Strohhauben. Schnell ist unser Doppelbungalow gefunden. Arnd geht zu seiner Tür, wir zur anderen. Ein Vorraum nimmt uns auf, dann der Hauptraum. Ja, der Bungalow ist eines gescheiterten Kilimanjaro-Bergsteigers würdig. Die geraffte Gardine wird aufgezogen, die Tür geöffnet und alsbald sitzen Peter und meine Wenigkeit auf der Terrasse mit Blick durch die Palmen aufs Meer, trinken einen Schluck aus dem immer noch halbvollen Flachmann und ohne jede Eile wird ein Zigarettchen geschmaucht. Arnd kommt jetzt rüber und meint enthusiastisch: Einfach traumhaft.
Ab jetzt haben wir Zeit, viel, viel Zeit. Nichts und niemand wird uns jetzt früh wecken oder sonstwie jagen. Kein Sahidi, kein Wallace. Und schon gar nicht bergauf. Das schwöre ich! Also schaue ich mich mal ganz gemütlich in der Anlage um. Sie ist wirklich ein Gedicht. Den großen Pool habe ich schon von oben bewundern können. Dunkelblau erscheint das Wasser und wer will, schwimmt rüber zur Bar und genehmigt sich im kühlen Nass einen Cocktail oder auch zwei. Liegen gibt es natürlich auch, entweder am Pool oder weiter vorne am Strand unter grünem Buschwerk oder strohbedecktem Schirm. Durch ein Gatter, das den Hotelbereich vor aufdringlichen Händlern schützen soll, wandert man zum breiten und unendlich langen Strand hinaus, direkt ins angenehm temperierte, grünlich erscheinende Meereswasser. Gesellschaft bekommt man draußen sofort, ob man will oder auch nicht. Meist will man aber nicht, bleibt deshalb vor dem Gatter und aalt sich dort in der Sonne oder im Schatten. Meist allerdings mehr im Schatten, denn die Sonne unter dem Äquator ist heiß, intensiv und färbt in kürzester Zeit das Fell eines europäischen Kilimanjarofans in glühendes Rot. Vorsicht ist also geboten.
Erst sehr, sehr spät am Nachmittag wagt sich meine Wenigkeit daher längere Zeit an den weißen Strand, um eine kleine Wanderung zu unternehmen. Eingecremt und mit Hemd werde ich am Strand umgehend in Empfang genommen. 'Hello, my friend. Where you are from?' begrüßt mich der offenbare Lokalmatador in rotem Shirt und dunkler Sonnenbrille. Jeden Tag von morgens bis abends wird er hier sein; dass bei ihm jemals gekauft wurde, habe ich aber nie gesehen. Auch von anderen Händlern gleiche Begrüßung. Stets ein Stück wandern sie mit. Das nächste Hotel scheint Italiener zu beherbergen. Alle 50 m steht ein Wachposten an dessen Strandabschnitt, sogar eine schwarze Frau ist dabei. Der Strand selbst ist jedoch für die Öffentlichkeit und die Händler frei. Einige Buden mit Souvenirs folgen, dann ein kleines Dorf, versteckt unter Palmen und hinter exotischem Buschwerk. Wieder eine große Hotelanlage und noch eine. Endlos könnte ich am Stand weiter gehen, kehre jedoch um. Die Sonne scheint mir immer noch zu stark. Der Lokalmatador kommt mir schon entgegen, versucht erneut ein unverbindliches Gespräch, bleibt dann am Gatter zurück.
Arnd und Peter treffe ich an der Poolbar, wie ich es mir schon gedacht habe. Sie schwärmen vom Drink im Wasser und wissen bereits, dass man hier von 4 bis 5 Uhr kostenlos ein Stück Kuchen mit Kaffee bekommen kann. Dummerweise muss ich meinen Kaffee bezahlen, denn die Happy Hour ist vorbei. Ab 19:00 Uhr gibt's Abendessen; deshalb wird es allmählich Zeit, sich aufs Zimmer zu begeben. Die sanitären Anlagen im Bungalow liegen im Rundbogen der Wand. Erst Waschbecken, dahinter Dusche, ganz hinten - schon um die Ecke - das Klo. Alles jedoch ohne Tür, was nicht so toll ist, uns nach der Kilimanjaro-Erfahrung aber nicht mehr schocken kann. Mir fällt gerade ein, meine Malariatablette muss ich noch nehmen. Erst gestern habe ich mit der Vorbeugung für Sansibar begonnen, für den Kili war es wegen der Höhe nicht nötig. Peter hantiert mit seinem Handy. Auf dem Kili hat die Verbindung nach Deutschland nur ein Mal kurz geklappt. Mit SMS ging's besser. Auch hier auf Sansibar hat Peter seine Probleme. Wir gehen rüber in den überdachten, großen Essbereich, direkt neben dem Pool. Buffet ist heute und für die weiteren Abende angesagt. Jeder wandert aus Neugier einmal dran entlang, hebt den Deckel von den Töpfen und überlegt krampfhaft, womit fange ich bloß an.
Arnd ist der Schnellste von uns Dreien. Während ich noch auf das Bier für uns alle warte, kommt Arnd schon mit einem gefüllten Teller zurück. Gut 10 leckere Scampis hat er drauf. 'Wo hast Du die her?' frage ich, denn bei meiner Inspektion hatte ich keine gesehen. Im Reis musst du sie suchen, dritter Topf rechts. Umgehend mache ich mich auf die Socken und tatsächlich ist meine Suche im Reis erfolgreich. 8 Stück habe ich ausgegraben, natürlich auch Reis mitgenommen, um nicht gleich gierig zu erscheinen. Peter hat immerhin ein einsames Scampi mit viel Reis auf seinem Teller, aber andere leckere Sachen noch dabei. Eine 5-Mann Band (mit einer Sängerin darunter) aus Madagaskar hat Stellung auf einem Podest im Pool bezogen und bringt jetzt ordentlich Schwung in die Bude. Gut gefüllt mit Gästen ist der Essbereich; hauptsächlich Mittelalter, einige Jüngere, auch zwei Kinder, einige Ältere und wir Drei. Am Tisch nebenan, gut hörbar, eine Gruppe aus dem Ruhrpott. Ich habe den Eindruck, sie haben schon lange nichts mehr zu essen bekommen. Den Abschluss des Abendmahles bildet bei mir Kuchen in allen Variationen, bei Arnd und Peter ein mächtiges Gefäß mit Speiseeis in allen Farben. Mich zieht's ins Bett während Peter noch den einen oder anderen Drink bei lauer Nacht zu sich nehmen möchte.
Vom nächsten Tag ist nicht viel zu berichten. Peter hat gut geschlafen, denn er hat sich nicht beschwert. Meine Beine sind vorne und hinten rot gefärbt; ein kleine Erinnerung an den gestrigen Spaziergang. Das Frühstück ist vorzüglich; Porridge esse ich nicht mehr, die Rühreier mit Speck sind mein Favorit. Heute ist reiner Gammeltag auf der Liege im Schatten. Ich genieße es, denke auch nicht mehr an die Pleite vom Kilimanjaro. Arnd und Peter scheinen sie dagegen noch nicht überwunden zu haben. Ich höre es immer wieder durch. Eine wichtige Entscheidung gibt es noch zu treffen. Machen wir morgen den Tagesausflug in die Hauptstadt und auf die Gewürzfarm zu 75 Dollar pro Nase oder nicht? Erst spät fällt das Ja.
Nach ausgiebigem Frühstück ist gegen 9:00 Uhr Abfahrt vom Hotel. Nur wir Drei stehen da, andere des Hauses haben offenbar kein Interesse, Land und Leute von Sansibar mal näher kennen zu lernen. Die uns bereits bekannte Strecke geht es zurück in die Hauptstadt. Für mich verwunderlich, dass kein Berg, kein Hügel, keine nennenswerte Erhebung weit und breit zu sehen ist. Ins Zentrum von Zanzibar City fährt der Bus. Eine Allee breitet sich vor uns aus, man wähnt sich in Ost-Berlin. Plattenbauten hinter und neben einander. Sie waren tatsächlich Entwicklungshilfe der DDR, hören wir. Hier sind diese Bauten natürlich noch vergammelter als in der DDR. Unser Kleinbus hält am Zentralmarkt von Zanzibar City, gleichzeitig die Grenze zur Altstadt. 'Stonetown' sagt man auf Sansibar zu diesem alten Viertel. Reichlich Betrieb herrscht vor, in und hinter den Markthallen. Weder in der Fleischhalle, noch in der Fischhalle würde ich auch nur ein Gramm kaufen. Fliegen, Schmutz und nackte Füße sind die kostenlosen Beigaben. Es ist aber dennoch interessant. Nur ein paar Bananen erstehe ich in den engen Budengassen mit Obst, Gemüse und Früchten im Überfluss.
Wir gehen nach Stonetown rein und kommen alsbald zu einem Platz auf dem sich tatsächlich eine Kirche befindet. Das Minarett einer Moschee ragt nicht weit entfernt auf, denn die Einwohner der Stadt und der ganzen Insel sind fast ausschließlich Moslems. Eine anglikanische Kirche ist es, wie wir hören, und sie steht auf dem ehemaligen Sklavenmarkt. Ihr Altar soll exakt über der Stelle der Auspeitschung gebaut sein. Erst 1887 wurde auf Sansibar die Sklaverei abgeschafft und so alt ist denn auch die Kirche. Fast hätte ich das beeindruckende Mahnmal an die Sklaverei nebenan übersehen. Eine gemauerte Grube in der an einer Kette um den Hals gefesselt, mehrere Sklaven aus schwarzem Gestein stehen und knien. So etliche Touristen wandern hier herum und verschwinden in einem Haus, in das auch wir jetzt gehen. Im Keller sind die niedrigen, kaum belüfteten, düsteren Räume zu sehen, in denen die Sklaven eingepfercht bis zum Abtransport per Schiff nach Arabien, insbesondere den Oman, hausen mussten. Unfassbar, was sich Menschen antun. Tief beeindruckt gehen wir weiter in die Altstadt.
Eine schmale Gasse nimmt uns auf, wird alsbald aber noch enger. Aus Korallengestein sind die Häuser gebaut, worauf mich Arnd aufmerksam macht. 'Fotografieren musst du eine Korallenwand', meint er, was ich auch artig tue. Nur, was soll ich jetzt mit diesem Bild der unverputzten Wand? doch nicht etwa in die Bildergalerie der Homepage einstellen? Ich muss mal Arnd fragen. Erschreckend marode sind viele der Häuser, Putz bröckelt von den Wänden, Risse hier und da, Fenster zugenagelt, rostzerfressen die Gitter. Es tut einem in der Seele weh. Obgleich Stonetown zum Weltkulturerbe ernannt wurde, sind nur wenige Bauten erkennbar renoviert, verfallen schon erneut. Eine Besonderheit sind die alten Türen an den Häusern. Herrschaftliche Portale waren es, wunderbar geschnitzt, mächtig, mit goldenen Spitzen geschmückt. Noch ahnt man die alte Pracht des vorletzten Jahrhunderts und früher. Frisch, hübsch, poper erscheinen nur die Frauen, wenn sie wie Grazien in ihren langen, bunten Tüchern und Gewändern durch die maroden Gassen schlendern. Jede wäre ein Bild wert, selbst die ganz in schwarz Gehüllten.
Die Tür zu einem kleinen Verkaufsladen mit Tüchern steht offen. Ich kann von draußen hinein schauen. Zwei Mädchen, eine vor der anderen sitzend, sind drin zu sehen. Von früheren Afrikatouren her weiß ich schon, womit sie beschäftigt sind. Sie lausen nicht, es werden vielmehr Zöpfchen über den ganzen Kopf geflochten. Eine stundenlange, afrikanische Arbeit. Beide strahlen mich an, ein Foto erlauben sie mir. Die Gasse macht einen Knick, in der Ecke sitzen Männer palavernd bei einander. Jede Exotik fehlt hier; nur Allerweltsklamotten, allenfalls die Kopfbedeckung ist anders als bei uns. Wir biegen in eine größere Straße ein. Es ist eine Prachtstraße von Stonetown, die direkt zum Meer führt. Herrschaftliche Bauten links und rechts, es sind die Häuser der früheren, arabischen Oberschicht, die man Mitte des letzten Jahrhunderts ermordet hat. In der Straße wurde offenbar wirklich restauriert. Restaurants und Hotels haben sich angesiedelt. Wir gehen vor bis zum Meer. Es gibt keine Promenade, nur etwas Gras und schmalen Strand. Irgendwie unwürdig für eine solche Stadt, ist mein Empfinden. Viele kleinere und größere Boote und Schiffe ankern in weitem Umkreis vor der Stadt. Auch ein weißes Kreuzfahrtschiff ist draußen auf dem Meer zu sehen.
Wir gehen wieder ein Stück zurück und in eine neue Gasse hinein. Verfall auch hier, wie eben üblich in Stonetown. Ein mächtiges Fort zeigt sich am Ende der Gasse. Es wurde von dem damaligen Herrscher, dem Sultan von Oman im 18. Jahrhundert erbaut. Vor dem Fort haben sich einige einheimische Maler einquartiert und bieten durchaus hübsche, typisch afrikanische Bilder an. Ich glaube jedoch, einer malt vom anderen ab, denn ähnliche Bilder findet man sogar am Strand. Im Fort werden heutzutage offenbar Veranstaltungen abgehalten; eine Tribüne aus Holz und ein Podium stehen unter freiem Himmel mitten drin. Auf der anderen Seite des Forts kommen wir wieder heraus und blicken direkt auf ein weiteres Highlight von Stonetown. Es ist das Beit al-Ajaib oder 'House of Wonders' oder zu Deutsch, das Haus der Wunder aus dem Jahr 1883. Ein gewaltiges Gebäude mit 3 superhohen Etagen und säulenbestückter Eingangsseite in einem kleinen Park. Als Wunder zählten der Aufzug und die elektrische Beleuchtung in damaliger Zeit. Ziemlich kahl ist es drinnen, das Zentrum bis ins Dach offen. Über breite Treppen kann man nach oben steigen und wie auf einer Ballustrade ganz innen und auch außerhalb im Karree einmal herumlaufen, wenn nicht auf allen Etagen irgendwo ein Baugatter stünde. Der Blick von oben über Stone Town ist das Treppensteigen aber wert.
Ein letzter Höhepunkt, den jeder Tourist in Stonetown besucht, ist der Palast der omanischen Sultane. Am Meer steht auch er, direkt neben dem House of Wonders und dem alten Fort. Etwas enttäuschend finde ich ihn schon. Echte Pracht findet man weder außen noch innen. Etliche Privaträume ähneln Zimmern, wie bei uns in den fünfziger Jahren, mit Nierentisch, Lampenschirmchen etc, relativ einfach möbliert. Es ist die Zeit, in der die Sultane Sansibar verlassen mussten. Natürlich sieht man auch Ölgemälde von diversen Sultanen aus alten Zeiten, antike Photographien, wertvolle Privatgegenstände der Hausherren und ihrer Damen. Insgesamt hat mich Stone Town sicherlich nicht begeistert, wenn ich auch froh bin, einen Eindruck erhalten zu haben. Wir verlassen Zanzibar City auf anderem Weg, denn eine Gewürzfarm im Zentrum der Insel steht noch auf dem Programm. Durch üppige, grüne Natur führt die Straße. Sansibar ist eine Insel der Gewürze, wird uns erzählt. Weshalb sie dennoch arm ist, bleibt das ewige, afrikanische Geheimnis. Europäische Superschlaue werden sicherlich die Antwort wissen, wie etwa Kolonialismus, Ausbeutung, usw. usw. Dass es an den Afrikanern selbst liegen könnte, scheint unvorstellbar. Sogar eine Goldader kann in Afrika Verluste schreiben. Nach etwa einer halben Stunde hält unser Bus inmitten von Palmen, Sträuchern, unbekannten Gewächsen.
Ein sympathischer junger Mann empfängt uns, andere Schwarze stehen etwas entfernt im Garten Eden. Die ersten Besucher sind wir hier nicht, sehr professionell werden wir bedient. Von der Vanille über Zimt und Pfeffer bis hin zur Kokosnuss, die ein Klettermaxe barfuß von einer hohen Palme holt, wird uns jeder Strauch und Baum gezeigt. Wie die einzelnen Gewächse aber aussehen, habe ich längst wieder vergessen. Im Lexikon kann sie sich jeder anschauen. Zur Feier des Tages werden wir Drei sogleich zu Häuptlingen von Zanzibar ernannt und erhalten als Zeichen unserer Würde, Krone und Krawatte, aus dem Blatt einer Banane geflochten. 'Das Trinkgeld darf jetzt nicht zu klein werden', meint Arnd und wir stimmen zu. Wer will, kann jetzt noch aus hundert verschiedenen, abgepackten Gewürzen kaufen und damit die Ehefrau zu Hause beglücken. Ein Päckchen Zimt liegt jetzt bei uns in der Küche herum. Wir erreichen wieder die Straße, die erst östlich und dann nördlich in Richtung unseres Hotels führt. Der Anblick von der offenen Eingangshalle hinab in die Palmenanlage mit dem blau-grünen Meer im Hintergrund lässt unser Herz erneut höher schlagen.
Zwei volle Urlaubstage liegen noch vor uns, was uns freut. Eigentlich haben wir Drei als Ruheständler ja Urlaub ohne Ende, was uns noch mehr freut. Faul unter Palmen am weißen Strand zu liegen, ist aber doch die Krönung und deshalb liegen wir heute auch den ganzen Tag dort. Peter liebäugelt mit einer Bootsfahrt bis an den Rand des fernen Korallenriffs und versucht Arnd und mich davon zu begeistern. Die altersschwache Dau am Ufer mit ihrem Dreieckssegel will aber keinen von uns beiden überzeugen. Ein Bad im Meer halte ich persönlich für ausreichend. Ein Abschiedsfoto von Peter auf der Dau unter vollem Segel würde ich schon machen. Der Wind weht heute kräftig über den Indischen Ozean. Schön geschützt hinter einer dichten Pflanzung liege ich gemütlich auf meiner Matte, beobachte das Treiben am Pool, staune wie stark sich Palmen biegen können und höre dem Rauschen ihrer Wedeln zu. Am Abend erfreuen nach dem Essen bunte Truppen afrikanischer Tänzer in wirbelndem Rhythmus, im Zimmer die täglich wechselnden Blüten auf den Betten.
Der letzte Urlaubstag auf Sansibar zeigt morgens schwere, dunkle Wolken am Himmel. Ideal, um einen längeren Spaziergang den Stand einmal rauf und runter zu machen. Wegen des Sonnenbrandes auf den Beinen war es mir gestern zu kritisch. Arnd und Peter schließen sich an und natürlich auch umgehend der eine oder andere Händler. Ebbe ist immer morgens, das Meer flach bis zum entfernten Riff. Weiter als beim ersten Mal sind wir schon gekommen. Ein Dorf muss in der Nähe sein, denn viele Menschen sind heute im Watt zu sehen. Hauptsächlich Frauen in voller Montur sind damit beschäftigt, grüne Algen in langen Gebinden zusammen zu schieben und mühselig an Land zu schleppen. Auf Stangengerüsten hängen sie dann zum trocknen, wobei sich das Zeugs langsam in Violett verfärbt. Nach China werden sie später exportiert, wozu auch immer. Ein kleines Hotel taucht unter Palmen auf. Eine ältere Italienerin ist hier Chefin. Irgendwann hat es sie nach Sansibar verschlagen und sie würde sich freuen, wenn wir bei ihr Quartier nehmen würden. Eine Tasse Kaffee in blumenreicher Umgebung auf der Terrasse genügt uns jedoch.
Wir gehen wieder zurück bis zum Hotel und weiter in die andere Richtung. Die Wolken haben sich gelockert, blauer Himmel taucht hier und da auf. Heiß ist es geworden. Unsere Füße tappen jetzt meist über scharfes, kantiges Korallengestein, auch die immer höher werdende Uferböschung besteht daraus. Dennoch stehen auch hier Hotels. Eine hohe Seebrücke ist erreicht, auf die wir natürlich steigen. Ein einsamer Bediensteter des zugehörigen Hotels kommt heran, zieht sich dann wieder ins Kabüff am Ende der Brücke zurück. Offenbar will er seine Ruhe, irgendwelche Gäste sind nicht zu sehen. Nur im Watt wandern weit verstreut einige Gestalten im jetzt wunderschön angestrahlten, flachen Wasser herum. Wir gehen zurück, Arnd und Peter diesmal durchs Watt, ich - wie gehabt - über Korallen bis wieder weicher Sand unter den Füßen knirscht. Ein Einheimischer kommt quer über den Strand, an einer Kordel zieht er einen unappetitlichen, schleimigen Octobus hinter sich her. Unter einem Felsüberhang entdecke ich - erstmalig in Sansibar - eine kleine Gruppe exotisch wirkender Menschen. Es scheinen Massai zu sein, mit Muschelketten behängt und schwerem Arm- und Beinschmuck; der stolze Pascha zudem mit Schwert, jedoch fehlendem Mittelzahn. Der Kleinste pinkelt den anderen vor die Füße.
Am Nachmittag scheint wieder die Sonne und wir liegen gemütlich auf der Pritsche im Schatten. Peter will endlich seinen Traum wahr machen und verhandelt mit dem Bootseigentümer. Selbst der günstige Preis kann weder Arnd noch mich locken. Das Abschiedsfoto mit Peter auf dem Seelenverkäufer lasse ich mir jedoch nicht entgehen. Dem geblähten Segel schaue ich noch eine Zeitlang nach und bemitleide Peter zutiefst. Ob er wiederkommen wird? Keine 15 Minuten später ist er wieder an Land. Den Preis hat er dummerweise ohne jede Zeitvereinbarung ausgehandelt. Vielleicht gibt das erfolgreiche Seeabenteuer Peter jetzt aber den nötigen Kick, um die Pleite des Kilimanjaro-Abenteuers vergessen zu machen. Der Tag ist leider rum, wir müssen noch packen. - Früh heißt es heute aufstehen, die Rechnung per Karte bezahlen, der Bus steht schon vor der Tür. Die uns bereits hinreichend bekannte Strecke geht es nach Zanzibar City zurück. Pünktlich um 10:40 Uhr hebt der Flieger von Condor aus Sansibar ab und ebenso pünktlich landet er nach einem angenehmen Direktflug am Abend in Frankfurt. Heidi wartet schon mit dem Auto am Flughafen auf Peter und Arnd, meine Wenigkeit steht noch draußen vor dem Gebäude des Flughafens, schmaucht mit Genuss eine Zigarette und setzt sich dann in den Zug nach Düsseldorf.
Jammernd erzählt mir Peter ein paar Tage später am Telefon, dass er seine Videokamera dummerweise im Gepäckwagen zurück gelassen habe und sie natürlich nicht abgegeben worden sei. Dafür habe er aber eine neue Fotokamera, wenn auch ohne Kilimanjaro-Fotos, aus Garantiegründen erhalten. Und im übrigen sitze die Überlegung fest in seinem Kopf, nächstes Jahr dem Kilimanjaro erneut auf den Pelz zu rücken. Ich könne ja mitmachen. Lieber Peter, eins weiß ich gewiss, einen zweiten Bericht über die Besteigung des höchsten Berges von Afrika werde ich mit absoluter Sicherheit nicht mehr fertigen.
~ Ende meiner Reise nach Tanzania und Zanzibar ~

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