Am 23. Dezember 1996 landen wir in der argentinischen Metropole Buenos Aires bei tollen ca. 30 Grad im Schatten. Der Schweiß rinnt aus allen Poren, aber wir sind froh, nach dem 16 stündigen Flug nunmehr endlich mal die Füß hoch legen zu können. Zentral liegt unser Hotel Castelar; um die Ecke die breiteste Straße der Welt, die Avenida de 9 Julio mit ihrem hohen Obelisken und der Plaza de Congreso ist auch nicht weit. Sehr europäisch wirken sowohl die Stadt als auch ihre Bewohner; in Südamerika zu sein, will man gar nicht glauben. Schachbrettartig sind die Straßen im Zentrum angelegt, so dass man sich leicht orientieren kann. Es macht Spaß durch diese großstädtischen Straßen und eleganten Einkaufspassagen zu bummeln. Von Kriminalität ist hier nichts zu spüren, wir fühlten uns in Buenos Aires sicher.
Das saftige Steak am Abend hätten Gabi und ich lieber in dem Einheimischenlokal nahe dem Hotel genießen sollen, da dort immer wieder Gäste spontan aufspringen und einen Tango hinlegen, der wirklich begeistert. Heute am 24.12.96 ist Stadtrundfahrt angesagt. In Erinnerung bleibt mir die Grabstätte der Evita Peron, das La-Boca-Viertel mit seinen Künstlern und den bunten Häusern - früher wohnten hier die Hafenarbeiter, die mit restlicher Schiffsfarbe ihre Häuser verschönerten -, der Hafen und überhaupt ein angenehmes Buenos Aires.
Diese flotten Tangotänzer haben wir in Buenos Aires auf dem Plaza Dorrego getroffen. Es war ein wunderschönes Schauspiel und im übrigen drückt der Tango am typischsten die Lebensfreude der Argentinier aus. An diesem Plaza Dorrego und in den Seitenstraßen findet auch ein sonntäglicher Flohmarkt mit vielen Antiquitäten und handwerklicher Kunst statt. Stundenlang hätten wir hier rumwühlen können. In der Nähe steht zudem das bekannte Chorizo Haus, ein ehemaliges Palais, das angeblich zwischenzeitlich einmal als Puff diente, heute allerdings mit vielen kleinen Läden und Boutiquen bestückt ist. Der Plaza de Mayo mit dem Casa Rosada, dem Sitz der Regierung, durften auf unserer Besichtigungstour von Buenos Aires natürlich nicht fehlen. Hier steht zudem die Iglesia de San Ignacio, die wohl älteste Kirche der Stadt. Auf dem Plaza selber finden alle Demonstationen, sonstige öffentliche Zusammenkünfte und Spektakel statt; besonders bekannt geworden sind 'die Mütter der Plaza Mayo', die um ihre verschleppten Kinder trauern. - Im übrigen feiern wir heute im heißen Buenos Aires den Heiligen Abend zusammen mit der Gruppe; wie üblich bei vom Normalstandard abweichenden Reisen - wie unsere - mit 2/3 Frauen.
Zwei Stunden Flug von Buenos Aires und die Hafenstadt Comodoro Rivadavia am Atlantik ist erreicht. Da hier nichts zu besichtigen ist, geht's gleich auf große Tour, zunächst an der Küste entlang bis über den Ort Caleta Olivia hinaus. Reizvoll für mich die Wolkenbildung auf der Strecke. Wie fliegende Untertassen sehen einzelne Wolken aus. Und das erste Malheur ist passiert. Susanne stellt fest, sie hat ihren Pass in Buenos Aires im Safe liegen lassen, den sie für Chile aber braucht. Ingrid, unsere von deutschen Vorfahren abstammende, einheimische Reiseleiterin darf es ins Lot bringen. Nach einer Woche ist Susanne endlich wieder glücklich. Dafür macht Carola dann Sorge; ihre Netzhaut löst sich ab und muß dringend mit Lazer behandelt werden. Das ist aber nur in Rio Gallegos oder Buenos Aires möglich. Ingrid schafft auch das mit Bravour.
Recht einsam ist es auf der Küstenstraße. Kaum ein Auto taucht mal auf und noch weniger Häuser gibt es hier. Ein karger Landstrich obendrein. Diese Eigenschaften werden wir aber noch als typisch für Patagonien erleben. Ich habe nichts dagegen; ich genieße es vielmehr.
Von Comodoro Rivadavia aus fährt unser Bus auf der Routa Nacional 3. Diese Routa 3 werden wir später auf Feuerland wieder treffen, und zwar an ihrem Ende beim Beagle Kanal. Hier zweigen wir nämlich hinter der kleinen Ortschaft Caleta Olivia ab. Richtung Westen wollen wir: Quer durch die Pampa und das Tafelland von Patagonien bis hin zu den Ausläufern der Anden. Eine weite, endlose Strecke erwartet uns heute. Zunächst noch gepflastert mit tausenden von Ölpumpen im Küstenbereich, dann aber ein kahles Land mit nur wenigen Orten und Abwechselungen.
Schon wieder bin ich derjenige - wie so oft auf Gruppenreisen-, der ab und an auf Stops drängt. Denn einige Photos will ich auch an nicht so interessanten Stellen machen, um später eine Erinnerungsstütze zu haben. Regelmäßig wird's mir aber nicht geglaubt, da ich dann natürlich auch eine Zigarette rauche. Eigenartig ist nur, dass die Nichtraucher meistens ebenfalls auf die Kamera klicken. Wäre doch schade gewesen, dieses Bild von der Weite in Patagonia, der Pampa und dem Tafelland nicht zu machen ;-)
Weideland, Pampagras und ab und an auch Gewächse, wie auf dem Bild zu sehen, ziehen vorbei. Widerstandsfähig muß in Patagonien jede Pflanze sein, wenn sie sich halten will. Nach dem ständigen Wind richtet sich aber alles aus. Stundenlang geht unsere Fahrt dahin und jeder im Bus hängt seinen Gedanken nach, pennt oder läßt die monotone Landschaft an seinem Auge vorbei ziehen. Irgendwann wird die Umgebung hügeliger, da wir näher an die Anden heran rücken und gegen Abend ist endlich das kleine Städtchen Perito Moreno erreicht. Es liegt in der Nähe eines riesigen, blauen Sees, dem Lago Buenos Aires. Zu sehen bekommen wir das Gewässer jedoch nicht. Nach einem saftigen Steak und gutem argentinischen Bier geht's ab in die Falle; Perito Moreno hat nichts weiter zu bieten.
Ab Perito Moreno geht die Fahrt nunmehr immer Richtung Süden. Endlose, schnurgerade Schotterpisten liegen vor uns. Rechts und links Steppe, meistens eingezäunt als Zeichen dafür, dass das Gebiet zu einer Hacienda gehört. Die Estancias sind in Patagonien so ca. 2.000 bis 250.000 Hektar groß. Hin und wieder sind einige Schafe zu sehen. Und für uns weitaus interessanter, die ersten Guanacos tauchen auf. Es haut uns aus den Sitzen und jeder macht sein Photo wohl wissend, dass von den so fernen Guanacos nichts erkennbar sein wird. Aber sicher ist sicher. Die Anden rücken jetzt noch näher und das schneebedeckte Massiv des Monte San Lorenzo schält sich aus dem Dunst. Dort wollen wir heute hin.
Der Monte San Lorenzo muss aber noch warten, denn unsere Fahrt geht erst in die entgegengesetzte Richtung. Denn dort schlängelt sich der Rio Pintura durch eine grandiose Landschaft, die er sich selbst geschaffen hat. Ein tiefes Canyon hat der Rio Pintura gegraben und die Wände gehen steil nach oben; eine grüne Oase unten. Und sogar ein Restaurant gibt es hier. Es ist die Endstation der Straße und zugleich Ausgangspunkt für die kurze Wanderung zu den Cuevas de las Manos.
Der Blick hinunter ins grüne Tal, in dem der Rio Pintura mäandert, ist wunderschön. Am liebsten wäre ich sofort runter gestiegen, denn Wege zum Fluss sind zu sehen. Unser bequemer Pfad zu den Cuevas de las Manos führt aber nur ein Stück nach unten und verläuft dann auf halber Höhe weiter. Himmelhoch wachsten die Wände des Canyons neben uns auf und nach der anderen Seite geht's steil bergab. Die Cuevas de las Manos sind allzu schnell erreicht. Es sind aber keine Höhlen, wie das Wort Cuevas vermuten läßt, sondern nur überhängende Felsen unter denen sich die Malereien befinden.
Das also sind die Malereien der Cuevas de las Manos oder zu deutsch Höhlen der Hände. Und die Abbildungen von Händen sieht man tatsächlich reichlich. Es sind die Hände der Ureinwohner von Patagonien, die sich hier verewigt haben. Die Indianer von Patagonia sind ausgestorben oder richtiger, sie wurden ausgerottet, wie so viele Völker im Amerika. In Argentina zeugt nur noch sehr wenig von diesen früheren Bewohnern. Nicht nur Abbildungen ihrer Hände haben die Ureinwohner der Nachwelt als Zeugnis hinterlassen, sondern auch an verschiedenen Stellen des Rio Pintura Malereien von Tier und Mensch. Einfach und bequem zu erreichen sind allerdings nur die Cuevas de las Manos.
Durch die Trockenheit in diesem Gebiet sind die Kunstwerke erstaunlich gut erhalten und konserviert worden. Wie alt die Zeichnungen tatsächlich sind, darüber streiten sich trefflich die Gelehrten. Auf jeden Fall haben diese Malereien inklusive der Handabdrücke eine große Gemeinsamkeit mit Zeichnungen auf den andern Kontinenten. Man kann nur hoffen, dass diese Zeugnisse noch lang Zeit überstehen, denn je mehr Besucher kommen, um so gefährdeter dürften sie sein. Nach so viel Kultur in dieser Abgelegenheit wandern wir noch ein Stück den Weg weiter und machen inmitten herrlichster hier wachsender Blumen ein Ruhestündchen.
Offenbar waren wir doch etwas zu lange an den Cuevas de las Manos geblieben, denn unsere beiden Fahrer haben sich zwischenzeitlich mit dem Höhlenverwalter kräftig einen angesoffen. Also muß Ingrid als Busfahrerin ran und Brigitte in den Pkw, da sie einen internationalen Führerschein dabei hat. Die Fahrt durch Patagonien kann weiter gehen. Ein Gürteltier bringt unseren nächsten Stop und eine kleine Handverletzung für Gabi. Ein Gürteltier sollte man halt nicht anfassen wollen, denn es hat recht kräftige Krallen. Ein weiterer Stop in dem staubigen und trostlosen Ort Bajo Caracoles, der aber eine Tankstelle und sogar ein Hotel besitzt. Das Benzin wird hier noch mit der Hand gepumpt. Da die Tankwartin aber erst gesucht werden muß, steige ich auf einen nahen Hügel, um besseren Blick über die wenigen Häuser von Bajo Caracoles und das noch entfernte Massiv des San Lorenzo zu haben. Am einzigen Klo des Hotels stehen derweil die anderen Schlange.
Patagonien ist nicht nur ein Land des Windes, sondern auch der großen Seen. Herrliche blaue bis grüne Farben hat das Wasser der Seen und kristallklar ist es auch. Der Monte San Lorenzo rückt näher und unser heutiges Ziel auch. Es ist die Hosteria Furiosa, eine Art Hotel wundeschön auf einer Landzunge zwischen den Seen Lago Posao (grün) und Lago Cerrenes (blau) gelegen. Nur wenige Schritte vom Hotel entfernt, kann man auf eine steile, hohe Düne steigen und hat von dort den Blick über beide so unterschiedlich gefärbte Seen. Diesen Anblick lassen wir uns natürlich nicht entgehen, wie das Bild auch zeigt. Sehr gut besucht ist die Hosteria und es wird problematisch alle unterzubringen. Betten werden hin und her geschleppt bis jeder sein Lager gefunden hat. In unserem Riesenzimmer bekommt Uli und Brigitte schließlich Asyl, um nicht getrennt mit Fremden schlafen zu müssen. Zum Abendessen wird Lamm am offenen Feuer gegrillt und auch draußen gegessen. Es schmeckt vorzüglich, nur die Kälte steigt uns alsbald in die Knochen.
Fortsetzung: San Lorenzo - Fitz Roy