Die Überlandfahrt in den tiefsten Südwesten von Libyen
konnte beginnen.
Nach dem Flug von Frankfurt, leider mit Umsteigen in Tunis,
hatten wir die Insel Djerba in Tunesien gegen 19.00 Uhr -
schon recht müde - erreicht. Eine kurze Taxifahrt ins
Hauptstädtchen Houmt Souk an der Nordküste und Absteigen in
einer wunderschönen, wenn auch einfachen Herberge im Stil
einer Karawanserei. Der herrliche Innenhof mit Palmen und Blüten
ließ jetzt wirklich Urlaubsstimmung aufkommen.
Mein Karawansereizimmer (Toilette nur über den
Innenhofrundgang zu erreichen) teilte ich mit Philipp,
unserem 27-jährigem Nesthäkchen. Wie er mir später erzählte,
wird er nach seinem Studium zusammen mit seinem Bruder die
Lederfirma Bree (Hannover) seines verstorbenen Vaters fortführen.
Jetzt war er allerdings erst mal gespannt auf die Wüste, von
der er zwar schon zur Reisevorbereitung einiges gelesen hatte,
aber sie sich dennoch nicht so recht vorstellen konnte. Zur
Einstimmung goß ich uns erst mal ein Gläschen des ( für meine Urlaubsreisen obligatorischen ) "Duty
free" Osborne ein und wir tranken auf gutes Gelingen
unserer Meharée, der Karawanentour.
Beim ersten gemeinsamen Abendessen der Gruppe in einem
tollen Gewölberaum konnten wir uns nun näher kennen lernen:
Es waren die Reiseleiterin Uli sowie ihr Mann Klaus und
Renate aus Wetzlar, Gudrun aus Düsseldorf, Hedwig aus
Bielefeld und Liselotte aus der Nähe von Frankfurt sowie
eben auch Philipp. Eine zweite SUNTOURS-Gruppe, die eine
Jeeptour durch West-Libyen unternehmen wollte, gesellte sich
noch mit Sylvia Jarosch als Reiseleiterin dazu. Rotwein wurde
reichlich genossen, denn jeder wußte, daß schwere Zeiten
bevorstanden: In ganz Libyen besteht nämlich Alkoholverbot.
Um 23 Uhr war dann allerdings doch Schluß, denn am nächsten
Tag sollte die Abfahrt bereits um 6 Uhr losgehen. Besonders
früh aufzustehen gehört wohl immer zu meinen Urlauben!?
Früh gings auch wirklich mit drei Jeeps los. In
vollem Tempo quer durch die tischplatte Insel Djerba mit
ihren vielen Olivenbäumen, über einen langen Damm, der
durchs seichte Meerwasser gebaut wurde, bis aufs ebenso
platte Festland. Die libysche Grenze kündigte sich schon
kilometerweit vorher durch ständige Polizeikontrollen und
die vielen mit grünen libyschen Dinarscheinen wedelnden
Geldwechslern am Straßenrand an. Je näher die Grenze kam,
um so unwohler wurde mir allerdings. Denn trotz des Verbotes
lag tief verstaut in meinem Seesack die Pulle Osborne. Noch
mulmiger wurde es allerdings, als wir das gesamte Gepäck
abladen und vor dem Kontrolltisch des Zolls aufstellen mußten.
Gemütlich und ohne jede Hast wühlte der Beamte die ersten
Taschen und Gepäckstücke durch. Danach wurd´s Gott sei
Dank oberflächlicher und mein Seesack ging - durch tatkräftige
Ablenkung unseres (eingeweihten) libyschen Führers oder war
es doch stilles Einverständnis ?- einfach so durch. Mir fiel
jedenfalls ein Stein vom Herzen und ich genoß um so mehr die
Weiterfahrt, trotz des nunmehr einsetzenden Mülls am Straßenrand.
Einfach unfaßbar!! Und das in ganz Libyen bis tief in die Wüste
hinein.
Die Orte und Städtchen, durch die wir fahren, sind
ziemlich uninteressant, das Land im Küstenstreifen durch Bewässerung
allerdings grün und fruchtbar. Alles gibts um uns
herum an Obst und Gemüse und verkauft wird es an duzenden
von kleinen Ständen am Straßenrand. In der gesichtslosen
und langweiligen Stadt Gharyan wird für heute Quartier
genommen. Als erstes folgt - wie bereits in Tunesien und
beiderseits der Grenze geübt - das lästige Ausfüllen von
Formularen. Wenn ich mir doch endlich einmal meine Paßdaten
merken könnte! Das Hotel ist ausgezeichnet und bietet für
die nächsten 1 ½ Wochen wohl unsere letzte Dusche. Philipp
will sich noch für die Wüste besonders schön machen und
besucht den Hotelfriseur. Zurück kommt er mit einer wüstengeeigneten
Mekkifrisur. Nach acht Uhr dann das ganz ordentliche
Abendessen. Für die nächste Zeit wohl auch das letzte Mal
im Sitzen, wenn auch bereits ohne Bier oder Wein.
Morgens wieder frühe Abfahrt; auf uns wartet nämlich
eine weite Strecke über ca. 700 km durch die endlose Wüste.
Gharyan liegt relativ hoch in den Bergen, die wir jetzt
hinunter müssen, um dann auf schnurgerader und
ausgezeichneter Straße in die immer karger werdende
Landschaft hineinzufahren. Die Bergkette hinter uns läßt
offenbar die wenigen Regenwolken nicht weiter südlich
treiben; sie regnen sich an den Berghängen ab. Monoton
ziehen die weiten Sand- Kies- und Geröllebenen, teilweise
durchsetzt von Tafelbergen, vorbei. Ab und zu zeigen sich in
der Ferne auch niedrige, trostlose Gebirgsketten. Von
Vegetation ist nicht mehr viel zu sehen, allenfalls hier und
da noch ein paar Büsche oder ein einsamer kümmerlicher Baum.
Das reichliche Mittagessen mit Hähnchen, Fisch und Salat
wird in einem der seltenen, staubigen Nester mit dem Namen
Shwayrif eingenommen; wie kann man hier nur leben!? Die
einzige Attraktion sind für uns die jetzt erstmalig
gesichteten Kamele, oder besser Dromedare; Kamele mit zwei Höckern
gibts in Afrika nämlich nicht. Und weiter gehts
in vollem Tempo immer tiefer auf der ausgezeichneten,
geteerten Straße in die Sahara hinein. Parallel verläuft
eine weitere staubige Straße, auf der Hunderte von LKW`s mit
riesigen Wasserrohren rollen. Sie dienen dem Bewässerungsprojekt
"Great Man-Made River". Stunden später dann eine
Wohltat für das Auge; das Grün der großen Oase Brak.
Dahinter tauchen auch bereits die ersten Sanddünen des
gewaltigen Erg Ubari auf, in dem sich die größte Attraktion
der gesamten Region verbirgt: die Mandara-Seen. Es ist nicht
zu fassen, quer durch die Ausläufer des gelben Ergs führt
eine nagelneue schwarze Teerstraße. Die Sonne ist bereits am
untergehen als Sebah, die Hauptstadt des Fezzan auftaucht.
Wir aber müssen weiter, da noch über 150 km vor uns liegen.
Bei El Fejej dann endlich wird die Straße verlassen und wir
holpern den Sanddünen entgegen, die seit Durchquerung des
Erg rechterhand auch im Mond- und Sternenlicht sichtbar
geblieben waren. Das Lagerfeuer unserer Tuaregführer taucht
auf; mit großem Hallo und Händeschütteln ist unser erstes Ziel erreicht.
Nach schmackhaftem Abendessen und nach der bei den Tuareg
stets obligatorischen Teezeremonie hieß es, sich nun sein
Schlafplätzchen auszusuchen. Von früheren Reisen her war
mir ja schon bekannt, welche Kriterien dabei zu beachten
waren. Sauberer Untergrund, möglichst nach allen Seiten
gerade Fläche und das Kopfteil etwas erhöht. Nicht zu nahe
an Büschen wegen ev. Viehzeugs wie Schlangen, Skorpionen etc.
sowie Spurensuche in der nahen Umgebung zur Abklärung der
Umwelt. Und jedenfalls in der ersten noch ungewohnten Nacht
im Freien doch lieber in der Nähe der anderen. Man weiß ja
nie. Mein Plätzchen war am Fuße einer mächtig hinter mir
aufragenden Düne. Die Zähne wurden schnell geputzt, ein bißchen
Wasser ins Gesicht und ab in den Schlafsack. Trotz des
phantastischen Sternenhimmels über mir, den ich noch etwas
genießen wollte, fielen mir die Augen vor Müdigkeit gleich
zu.
Beim Aufwachen zum - leider nötigen - nächtlichen
Aufstehen ein kleiner Schreck; neben mir huschte etwas nach
hinten ins Gebüsch weg. Der Spur nach konnte es aber Gott
sei Dank keine Schlange gewesen sein, was mich äußerst
beruhigte. Ansonsten absolute Stille und eine phantastische,
durch den zwischenzeitlich aufgegangenen Mond fahl
beleuchtete Dünenlandschaft nunmehr um mich herum. Was ist
doch die Welt so herrlich!
Mit Sonnenaufgang erwache ich wieder. Der erste Blick aus
dem Schlafsack fasziniert erneut. Gelb-rötlicher Sand,
feinster, weich geschwungener und leicht geriffelter Sand in
meinem gesamten Blickfeld. Ein unglaublicher Genuß. Der
Blick nach rückwärts wieder anders. Ein gewaltiges Dünengebirge,
das bis in den Himmel geschwungen zu sein scheint. Es ist
einfach nicht zu fassen. Nur langsam werden auch die anderen
Dinge bewußt. Die etwas entfernt im Kreis stehenden Jeeps,
die Aktivitäten der bereits aufgestandenen Tuareg und dort
und dort ein einsamer Schlafsack der sich zu regen beginnt.
Lilo dagegen erscheint nur noch als grün-weißer Punkt hoch
auf der Düne. Diesen wandernden, stets weit entfernten
bunten Punkt in der Landschaft werde ich auf der gesamten
Tour noch oft zu sehen bekommen und mir als typisches Merkmal
der Reise in Erinnerung bleiben.
Um mein Schlaflager herum
hat sich nächtlich doch einiges getan, wie die verschiedenen
Spuren mir jetzt bei Helligkeit zeigen. Aber was solls,
alles nur Füßchenspuren und keine geraden Linien, wie sie
Schlangen hinterlassen. Schnell aus dem Schlafsack geschält,
ein Feuchttuch über Gesicht und Augen gewischt, die Zähne
geputzt und jetzt muß ich auf die Düne. Ein herrliches Gefühl
so über den feinen gekräuselten Sand auf dem Kamm einer
Seitendüne nach oben zu steigen. Noch keine Spur zeigt sich
im Sand, alles ist jungfräulich. Schnell werden die Schritte
langsamer, denn der teilweise weiche Sand kostet Kraft. Der
Blickfeld weitet sich und auf der rechten Seite wird nunmehr
die Sicht auf das breite, grüne Wadi Adjal und dahinter die
Steilstufe des Messak Mustafit frei. Ansonsten Weite und Sand,
Sand, Sand und Dünen in gelb-rötlicher Farbe. Fasziniert
setz ich mich in den weichen Sand und kann mich nicht satt
sehen. Tief unter mir die Jeeps und Personen wie Spielzeug in
der weiten Landschaft. Leider werde ich schon bald zum Frühstück
herabgewinkt. Mit großen Schritten, tief einsinkend gehts
steil und schnell den Dünenhang hinunter. Das erste tolle
Erlebnis der Tour.
Nach dem Frühstück und dem Verstauen der Klamotten im
Seesack stand die Fahrt zu den Mandara-Seen auf dem Programm.
Dieses Ziel steht ganz oben für jeden Libyenreisenden. Auch
für mich waren die Seen ganz entscheidend für die Buchung
gewesen, hatte ich doch in meinen Reisezeitschriften schon so
viel Überschwängliches von diesem Highlight gelesen: Es
soll einer der Höhepunkte in der gesamten Sahara sein. Ich -
wie alle anderen auch - war wahnsinnig gespannt darauf.
Zuerst sollte allerdings eine kleine Wanderung über
flache Dünen und langgezogene Tennen anstehen, die wir gerne
annahmen. Langsam und staunend, immer wieder um die eigene
Achse drehend, gings durch den weichen, wunderschönen Sand
dahin. Eigenartig, je nach Richtung zum Sonnenstand veränderte
sich die Farbe der Dünenlandschaft und wirke mal blaß, mal
bräunlich oder gelb-rötlich. Stundenlang hätte ich so
weiter wandern können. Aber leider kamen bald die Fahrzeuge
nach und die weit auseinandergezogene Gruppe - jeder wollte
offenbar die ersten Eindrücke in dieser Welt alleine genießen
- traf sich wieder. Und dann rauschten die Jeeps mit uns los.
Wie auf einer Autobahn! Unglaubliche 70 oder 80
Stundenkilometer bei geraden Strecken durch den Sand. Immer
anderen Autospuren folgend, die reichlich vorhanden waren.
Zwischendurch dann hin und wieder ein Päuschen, um kleinere,
unberührte Dünen zu besteigen oder Gelegenheit zu geben, in
vollen Zügen zu genießen. Wie soll man eine solche
phantastische Dünenlandschaft beschreiben? Man muß sie
einfach selbst erleben !!
Unsere Teufelsfahrer, die Tuareg, kennen die Strecke
offenbar aus dem ff. Jede Düne wird richtig genommen. Mal
schnell, mal langsam, mal linksseitig, mal rechtsseitig oder
auch drüberhinweg. Ich komme mir zeitweise vor wie auf der
Achterbahn. Nur gut, daß ich nicht selbst am Steuer sitzen
muß.
Für Selbstfahrer und Ortsunkundige würde sich unsere
phantastische Strecke zu den Seen dann wie folgt lesen:
Drei freistehende Tamariskenbüsche am Pistenrand (km 2,9:
Pos. N 26°35`10`` und E 13 ° 09` 00``). Hier halten wir
kurz an, reduzieren den Luftdruck auf Werte für Sandverhältnisse,
holen selbst dagegen noch mal tief Luft und fahren dann los:
Westlich der großen Düne geht es anfangs flach, dann
steiler die Rampe hinauf nach Norden; eine Unmenge an Müll
liegt hier herum. Das Ende der Rampe erreichen wir schon nach
3 km. Jetzt folgen graue Walfischrücken, kleinere Dünen und
mäßig weiche Tennen und Senken. Bei km 6 umfahren wir eine
kleinere Düne westlich, eine weitere Rampe liegt vor uns.
Die ist deutlich weicher: Allrad (falls noch nicht
zugeschaltet) und Reduktion (falls vorhanden) sind angesagt.
Erneut zwei kleine Dünen, die wir in nördlicher Richtung überqueren.
Wie Riegel legen sie sich immer wieder in unseren Weg. Dabei
bleiben wir hinter der großen Düne, d.h. auf deren
Nordseite. Zwischen km 8,5 und 9 kurven wir weiter um die Dünen
herum, wir drehen dabei mehr und mehr auf Nordost, fahren 60°,
wenig später über eine Tenne wieder mit 40°. Bei km 10
fahren wir gar vorübergehend 100 bis 110°. Weitere Dünen
und Tennen folgen. Unsere Grundrichtung bleibt jetzt wieder
40°. Bis km 19,4 bleibt es bei diesem stetigen Wechsel
zwischen Tennen und kleinen Dünen. Wir sind dabei auf der Rückseite
einer weiteren hohen und sehr glatten Düne. Zwischen km 20,5
und 22,5 passieren wir weitere Dünen, die jedoch gut
befahrbar sind; wir halten uns eher auf der Hangseite der Düne.
Dies ist alles kein Problem, wenn Spuren vorhanden sind und
die Sicht einigermaßen gut ist. Bei km 22,9 halten wir an:
Der Mandara-See ist in Sicht !! ( Position N 26°40`21`` und
E 13°15`41``). Leicht bergab geht es nun auf unser Ziel zu.
(Auszug aus dem informativen Reisehandbuch "Libyen"
von Gerhard Göttler, Reihe: Reise Know-How. Übrigens eines
der wenigen überhaupt erhältlichen Reisebücher über
dieses Land.)
Für uns gab`s jedoch noch eine kleine zusätzliche, zudem
willkommene Abwechslung: Eine Reifenpanne. Und das im Sand.
Offenbar durch den gewaltigen Querdruck auf der äußerst
schrägen Düne, die bei vollbeladenem Fahrzeug und vollem
Gasdurchtreten genommen werden sollte. Mir jedenfalls hätte
der unfreiwillige Stop nicht lang genug dauern können auf
der dann von mir zu Fuß genommen Düne. Wir befanden uns
hier nämlich inmitten eines wahren Dünengebirges. Nur noch
tiefblauer Himmel und goldgelber Sand im gesamten Blickfeld.
Wie die Tuareg den Jeep in dem weichen Sand allerdings
hochbocken und reparieren konnten, ist mir dadurch aber
schleierhaft geblieben.
Die genaue Lagebeschreibung (bei Göttler) ist eine Sache,
die Seen zu finden eine andere. Auf meiner Übersichtskarte
zu Hause "Michelin 953 Afrique -Nord et Ouest"
sowie den diversen Atlanten war jedenfalls keine Spur der
Mandaras zu finden. Die guten russischen Generalstabskarten
über Libyen (man höre und staune), die neuerdings auf dem
Markt zu bekommen sein sollen, hatte ich nicht. Selbst die in
Libyen gekaufte Karte ist insoweit leer. Aber tatsächlich zu
finden sind die Seen in Natura gemäß obiger Beschreibung
bestens. Schlecht zwar mit Kompaß, den ich übrigens für
alle Fälle von zu Hause mitgenommen hatte, aber mit GPS.
Dieses "Global Positioning System" beruht auf einem
Netz-System von 24 (amerikanischen) Satelliten, die auf
festgelegten Bahnen die Erde umkreisen. Sie senden Signale
aus, die das recht handliche GPS-Gerät - ähnlich einem
kleinen Rechencomputer - empfängt und umrechnet.
In meinen beiden Libyen-Alben ist das entsprechende Kartenmaterial zum Auffinden der
Seen auf der vorletzten Seite zu finden. Denn diesen Highlights
näherten wir uns ja jetzt. Wir rauschten mit vollem Karacho
auf eine den Weg versperrende Querdüne zu, der Hang wurde
genommen und ... geplant war ein Halt direkt auf dem Kamm.
Unser Fahrzeug kippte jedoch nach vorne weg und rutsche die Düne
herunter. Aber: Der Mandara-See lag jetzt endlich - wie ein
Juwel eingebettet in der weiten, herrlichen Dünenlandschaft
- direkt vor uns. Übernatürlich, eine Fata Morgana !!!
Für mich gab`s nur eins. Wieder rauf auf die Düne,
hinsetzen und schauen, schauen ...
Um mich herum klickten die Kameras, was das Zeug hielt.
Auch meine kleine Pocket trat jetzt in Aktion. Hoffentlich
werden die Bilder was - denke ich - und fangen etwas von der
Unwirklichkeit ein, die da vor uns lag. Und hoffentlich,
hoffentlich sind keine Sandkörner in meiner Kamera. Wieder
viel zu schnell hieß es, diesen einmaligen Panoramahochsitz
zu verlassen und die Oase anzufahren. Ich hätte den
ganzen Tag dort sitzen können. Ein weiterer Stop vor dem See.
Hier mein Versuch (wie schon auf früheren Reisen) mit zwei
Bildern die größer gewordene Gesamtoase einzufangen. Ich
glaube es ist mir ganz gut gelungen. Dann sind die Palmen und
der See und auch der Müll erreicht.
Bewohnt ist die Oase seit einigen Jahren nicht mehr.
Lediglich alte aus Lehmziegeln erbaute Häuser, sehr
verwinkelt, labyrinthartig und mit kleinen Zimmerchen, stehen
noch herum und zeugen von den früheren Einwohnern. Sie
nannten bzw. nennen sich Daouadas. In einer Nacht- und
Nebelaktion - niemand weiß nichts genaues nicht - wurden die
Daouadas jedenfalls aus ihren bisherigen Siedlungsgebieten in
dem Sanddünengebiet zwischen Ubari, Sebha, Brak und Idri
evakuiert und in neu und speziell für sie erbaute Dörfer im
Wadi Adjal bei Maknusa "umgesiedelt".
Eigenartigerweise waren die neuen Dörfer bereits seit langem
vorher fertiggestellt worden. Man munkelt, daß Staatschef
"Führer der Großen Revolution" Oberst Muammar al-Kadhafi
an den Seen ein großes Touristenzentrum geplant haben soll
bei dem - seiner Ansicht nach - dann die Einwohner nur gestört
hätten.
Daouadas bedeutet "Wurm-Esser". Dabei essen
diese dunkelhäutigen Leute, die möglicherweise eine eigene
Rasse sind, die nichts mit den Schwarzen des Afrika südlich
der Sahara zu tun hat, in Wirklichkeit aber keine Würmer.
Ihre Nahrung war nämlich eine Art Garnele oder auch Salinen-Krebs.
Dieser lebt - gesehen habe ich keinen - in großen Mengen in
den Seen; um sein Gedeihen zu fördern, opferten die Daouadas
alljährlich ein Kamel, dessen Blut in den See zu fließen
hatte. Aus diesen Tierchen wurde eine Paste hergestellt, die
dann in Form kleiner Bällchen getrocknet wurde. Gelegentlich
kamen Karawanen von Tuareg über die Dünen, um den Dud (er
galt als wirksames Aphrodisiakum, entsprechend groß war die
Nachfrage) gegen andere Waren einzutauschen. - Es fehlte fast
an allem hinter den Dünen. Ein weiterer der wenigen
Exportartikel der Einheimischen war das Natron. Es entsteht
in diesen stark salzhaltigen Seen durch natürliche
Verdunstung. Ganz gut zu sehen am Ufer oder auch teils in der
Seemitte. Und selbstverständlich gibts dort jede Menge
von Datteln. Es war das erste Mal, daß ich sie sogar selbst
von den jungen Palmen pflücken konnte. Sie hingen fast schon
eingetrocknet und zuckersüß im Zentrum der Pflanze. Aus
schlechter Erfahrung vor 10 Jahren in Süd-Algerien öffnete
ich allerdings jede Dattel, um nach Würmchen Ausschau zu
halten. Aber stets Fehlanzeige, so daß ich nunmehr Datteln
gegenüber wieder mehr Vertrauen gewonnen habe.
Vor zwei Jahren brannte die gesamte Oase. Man erkennt es
noch an den verkohlten Palmenstämmen. (Aber offenbar sind
Dattelpalmen selbst Feuer gegenüber widerstandsfähig; fast
alle trieben in ihren Kronen wieder aus.) Der Rauch und der
Feuerschein soll über -zig Kilometer zu sehen gewesen sein.
Man erzählt sich, daß ein alter Daouada voll von Trauer und
Zorn über die Evakuierung wieder zurückgekehrt sei und beim
Feuermachen dabei versehentlich die ganze Oase anzündet hat.
Er soll noch hier am Mandarasee hausen. Gesehen haben wir ihn
leider nicht, obgleich seine Anwesenheit glaubhaft erscheint,
da wir sauberes Geschirrzeug fanden. Die vielen rumliegenden
Dosen, das Plastikzeug und dergleichen mehr dürften aber
kaum von ihm allein stammen.
Wir streunten durch die Oase. Das Ufer des Sees ist stark
mit Schilf bewachsen und läßt kaum einen Zutritt zum Wasser
zu. Der See, oder besser Teich, soll teilweise von heißen
Quellen gespeist sein. Mücken waren (noch) keine unterwegs.
Ansonsten solls geben: Spring- und andere Mäuse,
Fennek, Katzen, Käfer, Raben, Bleßhühner und auch
Schlangen. In den Außenbezirken, dort wo die Büsche und
Palmen nur noch einzeln stehen und sich dann im Sand
verlieren, halte ich mich die meiste Zeit auf; es ist hier am
schönsten. Die Oase im Inneren bietet - jedenfalls
angesichts der hohen Erwartungen - nicht so viel. Der Müll,
die zerfallenden Häuser und die vielen Trampelspuren im Sand
lassen eher etwas Wehmut aufkommen; es fehlen wohl die Bewohner.
Insgesamt soll es zehn bis 15 solcher Seen geben. Ihre
genaue Zahl ist bis heute nicht bekannt. Es scheint jedoch,
daß die Zahl eher vom Grundwasserspiegel abhängt: Ist er
hoch, bilden sich Seen auch an solchen Stellen, die
normalerweise trocken liegen - und schon ist wieder ein See
mehr zu zählen. Vom Mandara-See aus ist es nur ein
Katzensprung zu einem weiteren See-Wunder, das wir nun
anfahren, dem Um el Ma. Zu deutsch: Mutter des Wassers.
Die Palmen dieses Sees sind bald gesichtet und kurz vor deren
Erreichen fährt unser Tuareg seinen Jeep einen kleineren
aber steilen Dünenhang soweit hoch, bis er im tiefen Sand
stecken bleibt. Ein paar Schritte noch höher und
ein
weiteres Paradies liegt vor uns. Das Bild der nächsten
Seite zeigt es.
Um el Ma oder auch Umm al Ma oder auch Um el Maa. Welche
Schreibweise nun wirklich richtig ist, bleibt unklar, in
gleicher Weise wie bei den meisten Namensangaben für Städte,
Dörfer, Ergs, Hamadas (Steinwüsten) etc. Hinzu kommt, daß
es alte oder auch neue Namen gibt. Um dann alles für Fremde
endgültig unverständlich zu machen, gilt in Libyen allein
die (für mich allerdings wunderschöne) arabische Schrift.
Kein einziges Straßenschild ist in unserer Schrift zu finden.
Aufgrund der Schulpflicht in Libyen von 6 - 15 Jahren und
einer Alphabetisierungsquote (1990) von 64 % (Männer 75%,
Frauen 50%) dürften aber wenigstens die Einheimischen,
insbesondere die Jüngeren, beim Lesen und Schreiben hier
keine Probleme haben.
Mit fast 1,8 Mio km² ist Libyen etwa 5 mal so groß wie
Deutschland. Über 90% dieses Gebiets ist aber Wüste! Der
Fezzan liegt dabei innerhalb einer 30-mm Niederschlagszone, d.h.,
daß stets mehrere regenlose Jahre vorkommen. Erst über
dieser Niederschlagsmenge kann man statistisch jährlich mit
wenigstens einem Niederschlag rechnen. Eigentlich nur das Küstengebiet
im Nordwesten, durch das wir ja gekommen waren, ist vom Regen
begünstigt. Libyen ist aber dennoch das reichste Land
Afrikas. Daß es diesen Reichtum nicht der Landwirtschaft
verdankt, erscheint einleuchtend, da gerade mal 2 % des
Landes bestellbar sind. Es ist vielmehr das Öl, das - nach
Italien - auch an seinen zweitgrößten Handelspartner
Deutschland verkauft wird und hier immerhin 20% des
Importoels ausmacht. Die Wasserversorgung ist dagegen das
Problem. So entstand 1983 die vor allem auf Kadhafi selbst
zurückgehende Idee, mittels eines gigantischen Projekts, das
mit 25 Milliarden Dollar eines der teuersten
Wirtschaftsprojekte weltweit ist, fossile
Grundwasservorkommen anzuzapfen und durch riesige Pipelines
zu den Verbrauchern zu pumpen. Zum Teil über 1000 km bis zur
Küste und das mit Wasser, welches vor ca. 10.000 Jahren als
Regen gefallen war. 50 Jahre sollen die Vorräte reichen,
aber dann
? Die Rohrtransporte hatten wir ja schon
gesehen. Später sollten wir auch - die aus der Luft so
faszinierend anzusehenden - riesigen, bewässerten, grünen
Rundfelder inmitten der Wüste zu sehen bekommen. Ebenerdig
wirken sie allerdings gar nicht.
Zurück zum Um el Ma, dem kleinen Paradies, in dem weder
Ruinen noch - trotz der häufigen Besucher - Müll zu finden
sind. Vielleicht hielten ihn die Daouadas, wie andere Seen
auch, für verhext, denn es ist schon erstaunlich, weshalb er
überhaupt noch existiert. Von allen Seiten, teils von sehr
hohen Dünen, rieseln nämlich ununterbrochen Sandlawinen in
das salzige Wasser, das nirgendwo breiter als 50 m ist, wenn
auch mehrere hundert Meter Länge besitzt und bis zu 9 Metern
tief ist. Baden kann man auch, allerdings werden laut
Ausspruch von Klaus, einem ab ca. 1 m Tiefe die E
gekocht.
Unser Gruppe lagerte im Palmenschatten direkt am tiefgrünen
See und unterhielt sich mit zwei mit schweren Motorrädern
allein angekommenen Deutschen. Mich zog´s aber schon bald
zur weiteren Erforschung diese Kleinods. Die Palmen, die sich
zum Sonnenstand verändernde Farbe des Wassers nach Tiefblau
und das ganze Umfeld wieder einfach unbeschreiblich schön.
Das erste Mal ist es aber auch heiß geworden. Als ich dann
hoch über mir auf den Dünen den wandernden bunten Punkt (Lilo)
entdeckte, gab´s auch für mich - trotz der kräftigen Sonne
- kein Halten mehr. Etwa zwei Stunden wanderte nun auch ich
mit stetem Blick hinab zum Oasen-Wunder auf den gigantischen
Dünen entlang, einmal rund um den See. Ein einziger Genuß!
Als ich am Ende des Sees Lilo wiedertraf, schaute sie fröhlich
aus einem krebsroten Gesicht. Meinem entsprechenden Hinweis
entgegnete sie nur, daß es sich bei ihr um eine normale
Sache handele. Es stimmte tatsächlich. Ich hatte jedenfalls
meine Rundmütze tief ins Gesicht gezogen. Andere hatten sich
eine Art Chech (sprich Tschesch) zugelegt, der allerdings
nicht so toll wie bei den Tuareg gebunden war, sondern eher
wie ein schlecht gewickelter Kopfverband aussah. Erstaunlich,
wie die Tuareg in Windeseile den 6-9 m langen Chech so um den
Kopf binden können, daß nur noch ein Augenschlitz offen
bleibt und sie dann wirklich exotisch und königlich aussehen.
Wir haben es nie so recht hingebracht.
Die sprichwörtlich große Hitze der Sahara habe ich
jedenfalls -trotz meiner dritten Reise in dieses Gebiet- nie
erlebt. Kälte dagegen ja. Zwischen Oktober und April dürften
die Mittagstemperaturen nie höher als 28° gelegen haben.
Nachts dagegen gut bis - 5°, so daß das Wasser in der
Flasche zu Eis wurde. Diesmal schätze ich die
Tiefsttemperatur bei ca. 5°. Einen leichteren Pullover
brauchte man eigentlich den ganzen Tag nicht auszuziehen. Je
später dann der Abend, um so mehr Klamotten wurden - nach
dem Zwiebelschalenprinzip - übereinander gezogen. Am
Lagerfeuer war`s jedoch problematisch. Nach vorne hin zu heiß
und hinten klapperte man mit den Zähnen. Das ist Wüste.
Das Wichtigste in der Wüste ist zu trinken. Viel zu
trinken, denn die völlige Trockenheit zieht die Feuchtigkeit
aus dem Körper. Man merkt es kaum, da man eigentlich nicht
schwitzt und deshalb auch nicht stinkt. Letzteres stünde an
sich zu erwarten, da Waschen fast ein Fremdwort wird. In der
Wüste ist Wasser halt zum Trinken da; ca. 3 Liter pro Tag
waren (laut strikter Anweisung von Uli) Pflicht, selbst wenn
der Durst bei weitem nicht so groß war. Das stets mit
Mikropur entkeimte Wasser versetzte Uli zusätzlich alle zwei
bis drei Tage noch mal mit Calcium, mal mit Magnesium und mal
mit Vitamine. Diese Zusätze, die ich schon selbst
mitgebracht hatte, gab ich darüber hinaus in jede meiner neu
gefüllten Flaschen. - Auch war ich recht froh, daß Helga (Apothekerin)
mir Augentropfen mit der Wirkung künstlicher Tränen
eingepackt hatte. Wegen der Trockenheit bekam man nämlich
des öfteren das Gefühl, ein Sandkörnchen im Auge zu haben.
Salztabletten zu schlucken, war für mich ohnehin selbstverständlich.
Etwas abseits des Sees finde ich unter einer Dattelpalme
mein Plätzchen im weichen Sand und laß mich dort von der
Umgebung bezaubern. Ich beobachte einen schwarzen Käfer, der
sich todgestellt hatte, aber nunmehr geschäftig hin und her
rennt. In der Ferne versuchen 4 Jeeps über die hohen Dünen
einen Durchgang zu finden, müssen ihr Unterfangen aber
aufgeben und zurückkehren. Auch ich werde jetzt leider
gerufen; es ist Zeit zum Aufbruch
Die Sonne neigt sich immer mehr dem Horizont zu, als wir
die kleinen Paradiese der Mandara-Seen im Sandmeer hinter uns
lassen. Wieder mit voller Geschwindigkeit ziehen wir los. Das
Licht wird jetzt stimmungsvoller und der Sand beginnt sich rötlicher
zu färben. Kleine Schatten bilden sich auf den Dünen und
lassen nunmehr auch die Konturen des Sandgebildes
heraustreten. Die Landschaft wird dadurch noch prächtiger.
Auch wenn man meint, schöner kann es eigentlich nicht mehr
werden, dann zeigt die Natur, daß sie immer noch eine
weitere Steigerung parat hat.
Alle hundert Meter würde ich hier halten wollen, denn die
Strukturen der Dünenlandschaft zeigen sich immer schärfer
und schöner. Auch das Licht zum fotografieren wird jetzt
wirklich optimal. Nicht umsonst sind alle bekannten Dünenphotos,
die man in Saharabüchern und -zeitschriften zu sehen bekommt,
entweder morgens oder abends gemacht. In der grellen
Mittagssonne verschwimmen die Konturen einfach zu stark. Wenn
wir dieselbe Strecke zurückgefahren wären, die wir auf der
Hinfahrt genommen haben, ich glaube, es wäre jetzt eine
total andere Landschaft, die sich unseren Augen bieten würde.
Wir nehmen aber eine schnellere Route, um nicht in die
Dunkelheit zu kommen. In der Dunkelheit ist es wohl auch unmöglich,
die Orientierung zu behalten. Dennoch eine große Freude bei
mir; die nächste Reifenpanne steht an. Und das genau auf der
Höhe einer gewaltigen Querdüne. Ich wandere gleich wieder
los, um noch ein bißchen höher zu kommen. Die vier sich
sammelnden Fahrzeuge und die in die Dünen ausschwärmende
Gruppe will ich bei diesem tollen Licht unbedingt im Kasten
haben. Und dann hineinlegen in den so wunderbar geriffelten
Sand. Gudrun kommt gerade richtig, um auch von mir in dieser
herrlichen Umgebung mal ein Bild zu machen.
Noch bei Helligkeit treffen wir wieder am 1.Übernachtungsplatz
ein. Unsere Gruppe will aber -wie an sich auch vorgesehen war-
ein Schlafplätzchen an anderer Dünenstelle. Etwas mürrisch
packt daraufhin die Tuaregmannschaft die bereits ausgeladenen
Küchenutensilien wieder ein. Bald ist aber der neue Platz
gefunden und jeder von uns saust sofort los, um sich das schönste
Schlafplätzchen zu reservieren. Die Abstände zueinander
werden schon erkennbar weiter; Zeichen dafür, daß Ängste,
in dieser fremden Umgebung draußen zu schlafen, bereits kräftig
abgebaut werden. Der Seesack wird hingeschleppt, wenn auch
wegen ev. Getiers noch nicht ausgepackt und die meisten von
uns ziehen los, um die Abendstimmung irgendwo auf einer der
hier steilen Dünen zu genießen. Nur Philipp kraxelt herum
und wandert hoch oben auf den Kämmen entlang.
Bei völliger Dunkelheit treffen wir uns wieder am
Lagerfeuer. Der Essensplatz für die Gruppe, stets bestehend
aus einer großen Bastmatte und schönen, dicken
Schaummatratzen außenrum, ist schon hergerichtet. Unsere
Blechnäpfe und -tassen stehen bereit. Der Tee dampft und
Kekse können als Appetitanreger genommen werden. Erstaunlich,
was unser Koch dann alles so zu bieten hat. Vorsuppe,
Hauptgang und Nachtisch und alles wirklich schmackhaft.
Problematisch wird allerdings der heute heftig wehende Wind,
der böweise den Sand in unsere Blechnäpfe weht. Es knirscht
ordentlich zwischen den Zähnen, was uns aber nicht den
Appetit verderben läßt. Wir fühlen uns ja schon fast wie
Tuareg.
Die Führer und Fahrer scheinen offenbar immer dasselbe zu
essen. Selbst gebackenes Brot, das in kleine Bröckchen
gebrochen wird und zusammen mit einer Sauce in eine riesige
Schüssel wandert. Die ganze Mannschaft bedient sich dann
daraus. Nach dem Essen - wie kann es anders sein - gibts
den Tee. Wenn für mich der Tee bereits fertig gewesen wäre,
so geht hier die eigentliche Zeremonie erst los. Das Gebräu
wird begutachtet, dann in ein anderes Gefäß geschüttet,
wieder zurückgekippt, gezuckert, schlürfend gekostet,
nachgezuckert, wieder zurückgekippt und probiert, in die
vorhandenen Gläschen abgefüllt, um Schaum entstehen zu
lassen, die Flüssigkeit aus den Gläschen wieder zurückgekippt.
Erst nach weiteren Umfüllungen ist der Tee fertig. Der
Kannenhahn wird nun ans erste Gläschen gebracht und
geschickt gefüllt, indem die Kanne in eleganten Bogen nach
oben gezogen wird. Wie soll der Tee bei den Tuareg aber
schmecken? Es heißt: Das erste Glas muß so bitter sein wie
das Leben, das zweite so sanft wie die Liebe und das dritte
so süß wie der Tod.
Morgens wieder ein strahlend blauer Himmel - wie kann es
in der Wüste auch anders sein. Geschlafen habe ich bestens.
Als ich mich aufrichte, sehe ich in den verschieden Dünenecken,
daß auch die anderen wie auf Kommando am Aufstehen sind und
daß das Frühstücksfeuer schon seinen Rauch aufsteigen läßt.
Nach der Katzenwäsche und mit frischem Hemd genieße ich den
heißen Kaffee sowie Müsli und Baguette mit Käse. Ein bißchen
rumkrabbeln auf unserem großen Tisch muß man allerdings
schon, um sein Frühstück zusammen zu bringen. Man sieht
s auf dem Bild, wie es funktioniert. Und lustig ist
diese Esserei allemal. Gut gestärkt kann jetzt Garama, die
alte Garamantenstadt, von uns besucht werden.
Bereits nach kurzer Fahrt sind die Ausläufer des Ergs
erreicht und das grüne Wadi Adjal mit der Steilstufe des
Messak Mustafit wieder in Sicht. Eigentlich eigenartig, daß
die Sandmassen das Wadi respektieren und nicht unter sich
begraben. Und das offenbar schon seit Jahrtausenden. Das
heutige Germa (Garama, Djerma) ist - wie alle Orte hier -
langweilig. Ein Stück außerhalb liegen jedoch die
interessanten Ruinen des alten Germa. Vor 3.000 Jahren war
hier nämlich die Hauptstadt des Garamanten - Reiches. Von
allen Berberreichen die in Nordafrika und in der Sahara
bestanden, war dies eines der mächtigsten. Keines hat je bei
den griechischen und römischen Autoren der Antike so viel
Aufmerksamkeit erfahren wie das der Garamanten. Es waren die
gefürchtetsten Widersacher am anderen Ufer des Mittelmeeres.
Es wird berichtet, sie hätten sich mit Streitwagen
fortbewegt; tatsächlich finden sich an verschiedenen Stellen
in der Sahara Felsmalereien von solchen garamantischen
Kampfwagen. Auch wir sollten sie später zu sehen bekommen.
Die Römer führten während ihrer Herrschaft in Nordafrika
mehrere Feldzüge gegen sie durch und das wohl südlichste
Monument römischer Geschichte und Herrschaft findet sich
hier in Germa. Ob das Relikt allerdings ein römisches
Siegesdenkmal oder nur das Mausoleum eines reichen römischen
Kaufmanns darstellt, bleibt ungewiß. Es wird auch als
Grabmal der Prinzessin Lucilla bezeichnet.
Während der Vandalenherrschaft erlebte das
Garamantenreich eine letzte Periode vorübergehender Unabhängigkeit.
Im Gegensatz zu den Römern wagte sich dieses germanische
Volk nicht so weit in die Sahara hinein. Auch Ostrom
vermochte nicht, sie zu unterwerfen. Dies gelang erst den
Arabern unter ihrem Feldherrn Okba Ibn Nafi (eine bekannte Größe
auch in der Geschichte Tunesiens: Er gilt als Gründer
Kairouans!). Ca 670 n.Ch. wurde Garama erobert, die
Garamanten und andere Berbergruppen unterjocht und versklavt;
ein massiver Exodus der berberischen Gruppen in weniger zugängliche
Gebiete war die Folge. Diese garamantisch-berberischen Völker
gelten als die Vorfahren der heutigen Tuareg. Anarchie
scheint sich danach in diesem Teil der Sahara breitgemacht zu
haben. Der gesamte Fezzan geriet in den Herrschaftsbereich
der schwarzen Tubu. Im 14. Jahrhundert schließlich geriet
die Region in die Hegemonie des Sultans von Marokko, der
Murzuk mit dem größten Sklavenmarkt zur Hauptstadt erklärte,
bis im 16. Jh. schließlich die Türken das gesamte Gebiet
unterwerfen konnten. Anfang unseres Jh. wurden dann die
Italiener Herren des Fezzan. Sie waren es auch, die die
ersten archäologischen Untersuchungen in diesem Gebiet
vornahmen.
Auch heute noch wird im - durch die alten Stadtmauern klar
begrenzten - Bezirk des alten Garama gebuddelt. Es ist schon
ein eigenartiges Gefühl, jetzt durch die engen und
labyrinthartig angelegten Gäßchen zu wandern und sich in
den zum Teil recht gut erhaltenen winzigen Zimmerchen der
ehemaligen Häuser aufzuhalten. Was mag sich hier alles so
abgespielt haben? Daß die aus Lehmziegeln erbauten Mauern
sich über 3 Jahrtausende aber erhalten konnten, ist wirklich
erstaunlich. Ein kleiner Markplatz, umgeben von wuchtigen
Mauern und festungsartigen Häusern (sogar mit Balkonen) sind
noch gut erkennbar. Nach zwei Stunden dann Abfahrt
Richtung Mathendous, dem Tal der Gravuren.
Um dorthin zu gelangen,
müssen wir erst mal die Steilstufe des Messak Mustafit überwinden.
Wie sich herausstellt, ist dies aber kein Problem, da die Straßenbauer
eine gewaltige Kerbe in die Falaise gesprengt und offenbar
mit deren Schutt die riesige Rampe hinauf angelegt hatten.
Sicher eine Meisterleistung. Oben dann ein ganz anderes Bild.
Eine tischebene Hochfläche öffnet sich bis zum Horizont.
Daher also Messak, was nichts anderes als Tisch bedeutet. Die
Ebene übersät - soweit man sehen kann - mit fast gleich großen
Steinen, nicht aufgehäuft, sondern immer einer schön neben
dem anderen. Und alle in schwarz. Mustafit heißt denn auch
schwarz. Fast eine Stunde rollen wir durch diese
Hochebene; rundherum alles identisch, kein Baum, kein Strauch,
keine Erhebung, nichts
So abrupt wie wir die Steinebene
hinauf mußten, so abrupt müssen wir auch wieder hinunter.
Eine neue, bis an den Horizont reichende Ebene, nunmehr aus
Sand, tut sich auf und wir rauschen mit unseren Jeeps hinein.
Die Straße ist jetzt nicht mehr geteert und jedes Fahrzeug
zieht - schon von weitem erkennbar - eine kräftige
Staubwolke hinter sich her. Bald schon ist bei unserer hohen
Geschwindigkeit der Messak Mustafit hinter uns verschwunden.
Wir befinden uns auf der Straße, die bis zur Stadt Murzuk
am Rande des riesigen Erg Murzuk (oder wie in Libyen üblicherweise
benannt: Idhan oder Idehan oder auch Edeyen Murzuk) führt.
Die Stadt selbst werden wir leider nicht anfahren, was ich
bedaure. Sie hatte nämlich in früherer Zeit als
Schnittpunkt verschiedener Karawanenrouten große Bedeutung.
Auch die ersten europäischen Forschungsreisenden, wie
insbesondere Heinrich Barth nahmen diese Stadt als
eigentlichen Ausgangspunkt für ihre Entdeckungen in
Nordafrika. Nach fünf Jahren größter Strapazen kehrte
Barth 1855 dorthin wieder zurück.
Unsere Autos biegen irgendwann von der Straße in Richtung
Westen ab. Jetzt beginnt die Piste, eigentlich die Fahrerei,
die man sich üblicherweise in der Wüste vorstellt. Aber
eigentlich auch das wieder nicht, denn auf dem hier recht
festen und völlig ebenen Sandboden können wir mit 70 km/h
oder mehr - lt. Tuareg - dahinrauschen. (In keinem der
Fahrzeuge habe ich einen intakten Tacho erlebt.) Zunächst
ist ab und zu noch ein einsamer Baum oder Strauch in der
Ferne zu sehen. Bald aber auch das nicht mehr, nur noch
Horizont, Weite und die Staubfahnen, die wir hinter uns
herziehen. Wie die Tuareg hier ihren Weg finden, ist mir
schleierhaft. Er ist aber immer richtig, denn ca. alle 5 -10
km taucht ein schwarzer Punkt im Nichts auf, der sich beim Näherkommen
als aufgestellter Reifen oder auch als Teertonne entpuppt. Übrigens
typische Wegweiser in der Wüste, wie ich sie bereits in Süd-Algerien
vor 10 Jahren erlebt habe. Und dann
die erste Fata Morgana.
Zwischenzeitlich sind auf unserem steten Weg nach Westen
linksseitig die gewaltigen Sanddünen des Erg Murzuk
aufgetaucht und näher gerückt. Für etwa zweihundert
Kilometer wird dieser Ergrand nun unser Begleiter bleiben.
Über regelrechte Rennstrecken und nach erneuter Panne (diesmal
auslaufendes Kühlwasser) erreichen wir eine Bewuchszone in
einem ehemaligen Urstromtal und machen unseren Mittagsstop.
Hier gedeiht auch die in der Sahara recht häufige und
auffallende Koloquinte, ein "Bitterkürbis". Wie Bälle
sehen die Früchte aus, kugelrund und an langen Fäden wie
aufgereiht. Ich nahm eine Frucht in die Hand; sie war schwer
und offenbar voller Saft. Eine andere, die völlig abseits
von der Pflanze lag, wollte ich mit dem Fuß davonkicken,
doch diese war federleicht, zerplatzte wie ein hohle
Eierschale und entließ die Kerne. Sehr schlau! Der Wind läßt
nämlich die eingetrockneten und dann leichten Früchte wie Bälle
über viele Kilometer rollen und verteilt somit die Pflanze.
Wir fanden die Bälle an den unmöglichsten Stellen. Erst
wenn -ggf. auch nach Jahren- ein ganz bestimmtes
Mindestquantum an Regen fällt, reagiert der Samen.
Nach weiteren Rennstrecken taucht ein einsamer
Kontrollposten im Nichts auf und kontrolliert uns tatsächlich.
Danach geht s einen steilen sandigen Abhang hinauf. Am
Rand des neuen, höheren Plateaus rauschen wir weiter mit dem
Blick links auf die Dünen und nach rechts auf eine immer näher
rückende, riesige, schwarze Hamada (Steinebene). Gewaltige
wandernde oder auch stehende Windhosen sind dort in der Ferne
zu sehen, die Sand- und Staubwolken in große Höhe wirbeln.
Schon bei meiner Mittagswanderung hatte ich eine etwas
kleinere Windhose beobachtet, die in meiner Nähe vorbeizog
und mich doch etwas unruhig machte. Irgendwann fahren wir den
Hang wieder runter und holpern in die schwarze bis zum
Horizont reichende Hamada hinein. Ca. 5 Kilometer
vorsichtigster Fahrt über die Steine und das recht schmale
Wadi Mathendous liegt vor uns. Auch hier wieder - wie bei den
meisten Wadis - im ehemaligen Flußlauf einzelne Büsche.
Offenbar enthalten die Wadis immer noch oder immer wieder
Feuchtigkeit.
Dieser landschaftlich wenig spektakuläre Taleinschnitt
ist jedoch einer der bedeutendsten kulturellen Plätze der Prähistorie.
Die hier zu findenden Felsbilder und insbesondere Gravuren
wurden deshalb von der UNESCO auch als Weltkulturerbe unter
Schutz gestellt. Hunderte von Zeichnungen, Elefanten, wuchtig,
aber nicht plump, schlanke Giraffenpaare, Echsen, Krokodile,
auch Liebes- und Jagdszenen, mit großem künstlerischem
Geschick in den harten Stein gemeißelt, zeugen von einer
Kultur, die hier vor mehr als 7000 Jahren fruchtbaren
Savannenraum besiedelte. Die Sahara war damals vergleichbar
mit den heutigen Wildreservaten in Ostafrika. Von den
Menschen, die all diese Bilder vor der Austrocknung der
Region hinterlassen haben, ist aber nichts bekannt. Da die
Gravuren überall an Felswänden, oder an einzelnen Felsblöcken
verstreut, vorkommen, muß man sie teilweise richtiggehend
suchen. Manche Gravuren finden sich ganz unten, andere weit
oben, fast an der oberen Kante des Abbruchs. Unser Führer
Ali weiß jedoch gut Bescheid und wandert und krabbelt mit
uns in der Felswand rauf und runter. Die teils versteckten
oder bereits stark erodierten Figuren hätten wir wohl kaum
selbst entdeckt. Die klare, einfache aber absolut treffende
Linienführung begeistert und beeindruckt mich tief. Hier
waren wirkliche Künstler der Frühzeit am Werk. Welche
Bedeutung mache Gravuren haben, bleibt jedoch im Dunklen.
Dies gilt insbesondere für einen Tierkörper (wohl von einem
Rind) ohne Kopf, dafür aber an beiden Rumpfenden mit
Hinterbeinen. Auch ist unklar, ob die nebenstehende Abbildung
ein Krokodil oder aber einen Waran bzw. ein sonstiges Reptil
darstellt. Es ist in der Wissenschaft noch umstritten und
daher wohl auch die berühmteste prähistorische Gravur in
Libyen geworden. Abbildungen der alten Künstler gibt es
ebenfalls, wenn auch nur von ihren Füßen und Händen.
Ein bißchen Vorsicht ist in dieser Umgebung allerdings
geboten. Die Felswand enthält überall Spalten, Überhänge
und nicht einsehbare Höhlungen, in denen sich Schlangen
sowie Skorpione aufhalten können. Spuren sehen wir
jedenfalls diverse. Natürlich ist die Zeit wieder viel zu
kurz, um diese Kunstwerke wirklich ausreichend aufnehmen und
genießen zu können. Halt nur eine Momentaufnahme tausender
von Jahren.
Im Wadi wandern wir zu den Autos zurück. Bald stellen wir
aber fest, daß Renate und Hedwig fehlen. Wir warten eine
Zeitlang, doch es tut sich nichts. Ali geht zurück, winkt
aber von der Ferne ab. Es ist klar, daß die beiden Vermißten
die günstige Gelegenheit nutzen, mal hinter das herrlich
dichte Buschwerk zu gehen. Diese angenehme Möglichkeit ist
in der Wüste schon recht selten. Im Allgemeinen heißt es,
etliche Meter wandern zu müssen, um hinter ein paar Dünen
zu verschwinden. Man hofft dort jedoch, daß nicht plötzlich
über einem auf der Düne irgendwer erscheint, denn ein
Ausweichen in dieser Landschaft ist dann kaum mehr möglich.
Probleme hats aber eigentlich nie gegeben, denn wenn um
die Ecke ein nackter, weißer A
sichtbar wird, geht man
halt diskret zurück. Und von weitem? Was solls !
Wir holpern die Basaltstrecke wieder zurück. Gern hätte
ich noch den anderen berühmten Wadiausschnitt "In
Habeter" besucht. Doch die Sonne neigt sich schon zu
tief und wir müssen vor Sonnenuntergang unser Nachtlager -
diesmal im Erg Murzuk - erreichen. Die schwarze Hamada endet
abrupt wie mit einem Strich gezogen und jenseits der Linie
beginnt plötzlich goldgelber Kies sich auszudehnen. Tausende
von Reifenspuren sind darin eingedrückt und lassen die
Strecke wie eine kilometerbreite Autobahn erscheinen. Die
entsprechende Geschwindigkeit haben wir jedenfalls. Diesmal
ein unpassender Stop - Wasser läuft aus dem Kühler. Die
Gruppe wird auf die anderen Jeeps verteilt und rauscht weiter.
Die zurückbleibenden Tuareg werden das Fahrzeug schon wieder
richten.
Ein recht grünes Wadi, in dem sogar Kamele (offenbar ohne
jede menschliche Begleitung) weiden, wird durchquert, eine ca.
10 m hohe Sandstufe rauf und der jetzt rötlich glühende Erg
Murzuk ist fast erreicht. Eine weite Rampe hoch, hinein in
die Dünen, die Fahrzeuge fast auf der Stelle gewendet und
die gerade untergehende Sonne bietet uns ein phantastisches
Bild. In der Ferne die dunkle Hamada mit dem dunkelroten
Glutball, davor die nun rosa gefärbte Kiesebene, dann das grünliche
Wadi, die weite Sandrampe und beidseitig die mittlerweile
fast roten Dünenberge. Noch faszinierender wirds
jedoch, als wir uns dann umdrehen. Unbeschreiblich! Durch
weichen, stark nachgebenden Sand stapfe ich so schnell es
irgend geht hoch auf den Kamm der vorderen Düne, um einen
freien Blick nach rückwärts zu bekommen. Ein unglaubliches
Panorama aus purem Sand bietet sich mir !!!
Ich bleibe im Anblick dieser immer intensiver rot
werdenden Traumlandschaft sitzen bis es total dunkel geworden
ist. Meinen Schlafplatz muß ich jetzt aber noch suchen. Von
oben habe ich schon verfolgen können, wie von mir bereits
ausgewählte Plätzchen eines nach dem anderen belegt worden
sind. Gudrun und Renate haben leider auch die Schönsten
entdeckt und ihre Klamotten schon hingeschleppt. Etwas weiter
vom Lager entfernt finde ich aber noch eine hübsche, tiefe
Sandkuhle. Der mittlerweile stark auffrischende und kalte
Wind kann hier den mitgewehten Sand auch bestens drüberhinwegfegen.
Ein unschätzbarer Vorteil, wie mir Gudrun am nächsten
Morgen erklärt, da sie vor Kälte und wehendem Sand kaum
schlafen konnte.
Am Lagerfeuer macht mich Ali diskret auf meine Pulle
Osborn aufmerksam. So, so, als Mohammedaner in Libyen.
Versteckt vor den anderen Tuareg gieße ich einen Becher für
ihn, mich und ev. darbende Gruppenmitglieder voll. Ein kurzer
Schluck von Ali und der Becher ist halb leer. Ich staune
nicht schlecht. Auf meine Frage, ob unsere Tuareg auch
trinken, raunt er mir zu: "Nur der Fahrer Salah, die
anderen sind strenggläubige Moslems." Ich fülle noch
mal für Salah nach und Ali verschwindet damit in der
Dunkelheit. Bedankt hat sich Salah - auch bei den nächsten
Malen - allerdings nie, auch kein Augenzwinkern in stillem
Einverständnis oder sonst eine erkennbare Reaktion. Ali, Ali ...
Unser Abendessen wird unter diversen Verbeugungen vor dem
Sandwind - ähnlich dem Gebet in einer Moschee - eingenommen.
Dennoch knirscht Sand beim Kauen.
Das Sternenmeer erscheint -wie auch in den Nächten vorher
- erneut in voller Pracht. Es glitzert und funkelt über uns
und das helle Band der Milchstraße zieht sich quer über den
ganzen Himmel. Kein Widerschein, kein Licht, kein Lärm stört
hier. Und natürlich taucht auch der Komet Hale-Bopp mit
seinen täglich anwachsenden beiden Schweifen auf. Er wirkt
in dem Sternengewimmel besonders eindrucksvoll. Mit unseren
normalen Ferngläsern wird der Sternenhimmel nach Sternhaufen
und diffusen Nebeln abgesucht. Uli ist offenbar eine
passionierte Sternguckerin, denn sie kennt fast jede
Sternkonstellation mit Namen und weiß, wo sie zu finden sind.
Für alle Fälle hat sie sogar ein Sternenbuch im Rucksack
dabei. Leider sind wir noch zu weit nördlich, um auch das
Kreuz des Südens sehen zu können. So gegen 9.30 Uhr geht
dann der Mond, fast schon als Vollmond, auf. Die Sterne
verblassen jetzt zwar, dafür erscheinen im fahlen Licht aber
die Dünen wieder. Es ist eine herrliche Stimmung in und um
uns.
Irgendwann geht jeder mit einer Schaummatte (als
Bettunterlage) in der Hand in seine Schlafrichtung davon.
Gudrun zählt dabei sogar die Schritte bis zu ihrem
Nachtplatz, wie sie uns erklärt hat. Sie hat immer große
Orientierungsschwierigkeiten und muß sich besonders genau
Richtung und Entfernung merken; sie irrt - nach ihrer Aussage
- sonst wie ein blindes Huhn in der Gegend herum. Es ist
wirklich kalt geworden. Mein senkrecht gestellter, schon von
weitem sichtbarer Seesack ist bald erreicht, der Schlafsack
ausgerollt, noch ein Schluck zur Erhaltung der Gesundheit aus
der Pulle und dann hinein ins warme Nest.
Morgens komme ich nicht in die Gänge. Ich packe ein, hab
was vergessen, packe den Seesack wieder aus, da das was man
sucht, natürlich ganz unten ist und verstaue erneut. Der
Schlafsack gerät beim Einrollen zu groß und paßt nicht in
die Hülle; also nochmals. Beim Abtransport fühle ich die
Flasche Osborn; Seesack wieder auf und weicher verpacken. Die
anderen sind schon längst beim Frühstück. Zur
Toilette ist der Weg -um aus der Sicht zu kommen- hier weit.
Endlich reichts
doch schon besetzt. Später noch
einige Minuten auf die Düne, um das Panorama vor der Abfahrt
wirklich zu verinnerlichen. Die weite Tenne soll
hinuntergewandert werden, da man hier - lt. Ali - Artefakte (steinzeitliche
Werkzeuge und Gegenstände) aus dem Neolithikum, der
Jungsteinzeit, finden kann. Wir schwärmen aus und tatsächlich,
Ali mit seinem Adlerblick findet die erste Pfeilspitze.
Aufgeregt sind wir jetzt alle; jeder will was finden. Alle möglichen
Steine werden Ali vorgelegt, doch alles nichts. Ich bücke
mich und halte ein rundes, flaches Kettenglied mit einem Loch
in der Mitte in der Hand. Toll, alle sind begeistert und
beneiden mich, da so ein Stück recht selten ist. Ich werde
es Gabi schenken.
Die Jeeps fahren wieder los, zuerst über die fast
unendliche aber schnelle Kiesstrecke, dann gute zwei Stunden
fürchterliche Holperei über eine pechschwarze und leicht hügelige
Hamada (Messak Mellet) bis wir in ein sandiges Urstromtal
hinunterfahren. Man staune, ein kleiner Flugplatz wird überquert
und nun liefern sich unsere Jeeps regelrechte Rennen im Wadi.
Links und rechts die Steilstufe der Hamada und wir dazwischen
im Höllentempo. Zeugenberge tauchen mitten im Flußlauf auf,
kurzer Stop und weiter gehts. Die Mittagspause wird
unter einer Akazie im trocknen Flußbett eingelegt. Es ähnelt
hier ein bißchen dem US-Monument Valley. Nach dem
Mittagessen - wie immer ein riesiger Pott mit Salat, Gemüse,
Kartoffeln, Möhren u.s.w. sowie Baguette - bleibt noch etwas
Zeit, die Umgebung zu erkunden. Ich wandere über schwarze
Steinhügel und finde zwei kleine Steinhaufen mit einem Kreis
aus Steinen außenrum; es sind islamische Gräber. Seit heute
morgen ist bei uns zudem das Suchfieber nach weiteren
Artefakten ausgebrochen. Jeder hofft, was besonderes
aufzusammeln.
Holprige Strecken wechseln nunmehr mit sandigen oder
kiesigen, aber stets ebenen Abschnitten ab. Die
beeindruckenden Steilstufen des Messak Mellet bleiben zurück
und irgendwann taucht dafür rechter Hand wieder ein Erg (Sanddünengebiet),
der Erg Kasa mit diesmal fast weißem Sand auf. Nur an einer
Stelle kann er von uns durchquert werden. Dazu muß erst mal
ein äußerst steiler Dünenwall mit voller Geschwindigkeit
genommen werden. Nur unserem Jeep gelingt es gleich beim
ersten Anlauf. Gott sei Dank haben wir keinen Gegenverkehr.
Dieser erscheint aber kurz danach in Form einer rasenden
Jeepkolonne mit Motorrädern. Großes Hallo und innige
Umarmungen unter den Tuareg, neueste Informationen werden
ausgetauscht, der Abschied eigenartigerweise immer äußerst
kurz und weiter gehts auf der "Ergautobahn".
Die Dünenlandschaft wieder begeisternd. Nach Durchquerung
tauchen in der Ferne die schwarzen Berge des Tadrart auf,
dem Beginn für unsere Karawanentour.
Eine weite Ebene, teilweise mit Büschen übersät, muß
noch durchquert werden, bis die ersten Felsen und einzeln
stehenden, schroffen Bergrücken erreicht sind. Pechschwarz
erheben sie sich aus angewehtem, weißgelblichem Sand.
Wiederum eine Traumlandschaft. Wir müssen aber weiter. Durch
herrliche Täler mit schwarzen, bizarren Felswänden und
sandigem Boden geht die Fahrt, bis die Jeeps vor einem
gewaltigen Naturbogen in Stein halten. Er sieht fast wie von
Menschenhand konstruiert und herausgemeißelt aus. Wie wir
feststellen, hat dieser Platz offenbar schon über
Jahrtausende Menschen in seinen Bann gezogen. Denn zwei große
Gemäldeflächen innerhalb des Torbogens zeugen noch heute
eindrucksvoll davon. Die verwirrende Vielfalt der
Einzelfiguren und Linien ist für uns vor Ort in der kurzen
zur Verfügung stehenden Zeit kaum aufnehmbar. (Um ehrlich zu
sein, erst jetzt an Hand der Photos ist es mir möglich, die
vielen Einzelheiten bewußt zu sehen.) Völlig
unterschiedliche Zeiten und Epochen haben sich hier verewigt
und auch übereinander gemalt. Von den Jägern und Sammlern
über die Seßhaften und Rinderhirten bis zu den Garamanten
mit ihren Streitwagen und wohl auch aus der Neuzeit scheint
alles vorhanden zu sein. Daß im nächsten Bild neolithische
Sauereien dargestellt wurden, ist uns schon vor Ort klar
geworden; aber gleich ein ganzes Porno-Ensemble - wie ich
erst jetzt sehe - ist doch erstaunlich. Insbesondere das
zweite Pärchen links war mir nicht aufgefallen. Aber doch
beruhigend, daß es früher auch nicht anders gemacht wurde
als heute. Vielleicht sind aber manche Dinge heute etwas
bescheidener. Sicher hätte ein Altertumsforscher hier völlig
andere Gedankengänge und würde begeistert von Szenen mit
Fruchtbarkeitsbeschwörungen sprechen. Auf jeden Fall sind
die Abbildungen für mich künstlerischer als viele der
heutigen Schmierereien.
Die erkennbaren Schriftzeichen gehören zur alten sog.
Tifinar-Schrift der Tuareg, die aus dem altlibychen Alphabet
hervorgegangen ist. Es ist eine Konsonantenschrift, die aus
25 relativ strengen, geometrischen Schriftzeichen besteht.
Zeichen für Zahlen existieren nicht. Auch die
Schriftrichtung ist nicht festgelegt und die Zeichen werden
nicht verbunden, weshalb die Schrift nur schwer lesbar sein
soll. Die meisten Inschriften im Tadrart beinhalten lediglich
die Mitteilung, daß irgend ein Tuareg-Hirte auch schon hier
durchgezogen ist.
Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir Tin Lallen unseren
Treffpunkt mit den Kameltreibern (Chameliers) und deren
Kamelen. Hier solls morgen also mit unserer Meharée
losgehen. Wir sind alle schon sehr gespannt darauf. Zuerst
aber die große Begrüßung. Die Tuareg untereinander umarmen
sich und haben dann wahnsinnig viel miteinander zu sprechen.
Vielleicht über unsere Gruppe? Wir lagern in einem weiten
Wadi, das von schwarzem Bergfels und Schutthängen eingerahmt
ist. Im recht üppig bewachsenen Flußlauf sucht sich jeder
alsbald mit Bedacht sein Schlaflager. Nur nicht zu nahe an
die Büsche; Hedwig will nämlich eine Schlangenspur gesehen
haben. Die Kamele sind irgendwo beim Weiden im Tal. Später
am gemütlichen Lagerfeuer lernen wir unsere neue
Tuaregbesatzung kennen, da die Jeepfahrer uns verlassen
werden. Die Chameliers heißen aber nicht anders als die
bisherigen, nämlich Ahmed, Mohammed, Salah, Ali und sonst
aus Tausendundeiner Nacht bekannten Namen. Gesprochen wird
mit den Tuareg hauptsächlich in Französisch. Erstaunlich,
daß die meisten von ihnen es beherrschen. Untereinander
sprechen sie allerdings in ihrer eigenen Berbersprache; es
ist das Tamaschek. Charakteristisch für diese Sprache ist
ein großer Wortschatz für konkrete Dinge, während Begriffe
für Abstrakta weitgehend fehlen. Gewürzt ist das Tamaschek
mit Arabisch, der Hauptsprache in Libyen und des ganzen nördlichen
Afrika.
Wie schon üblich, stehen wir bei Sonnenaufgang ebenfalls
auf. Heute ist wieder mal mein Rasiertag. Ein Schälchen mit
minimal Wasser muß aber ausreichen, da ab jetzt Wasser
besonders kostbar wird; für die nächsten sechs Tage haben
die Kamele nämlich alles Notwendige mitzuschleppen. Meine
schwierige Rasur mit dem winzigen Spiegel findet Renate so
lustig, daß sie unbedingt ein Photo machen will.
Es bleibt noch ausreichend Zeit, um eine Felswand des
Wadis zu erklettern und den Blick von oben herab zu genießen.
Tief unten sehe ich unser Lager mit den zwischenzeitlich
eingesammelten Kamelen. Vor den anderen komme ich zurück, um
mir schon mal mein Kamel auszusuchen. Die Wahl fällt auf ein
weißes, für mich jedenfalls edel aussehendes Kamel mit
einem so treuen Blick. Es heißt Ebbedit und wird mich auch
tatsächlich mit stoischer Ruhe und Gleichmäßigkeit über
Sand, Fels und Steine bis ins Ziel tragen. Zu meinem Bedauern
steigen wir aber heute noch nicht auf, sondern wir sollen uns
erst an die Tiere gewöhnen oder auch umgekehrt und ziehen
deshalb unsere Kamele nur an der Strippe hinterher. Die Namen
der Kamele werden üblicherweise in Tamaschek nach ihrer
Fellfarbe gegeben, wie das Dunkle, das Gelbe, das Braune oder
auch das Edle. Die Lastkamele bekommen die Zügel über Zunge
und Unterkiefer gebunden, während den Reitkamelen ein Ring
durch die (wohl empfindliche) rechte Nüster gezogen wird, an
dem der Zügel befestigt ist. Durch einfaches Rechts- oder
Linksbewegen oder Anziehen der Zügel wird das Tier gelenkt
und gehorcht auch meistens. Nur ungern allerdings wollen sie
aus der Kolonne ausscheren. Meinem Ebbedit wurde der
Nasenring offenbar schon einmal von der Nase abgerissen.
13 Kamelen brechen wir auf und zwar schön ein Kamel
immer hinter dem anderen, wie es sich für eine Karawane nun
mal gehört. Für alle von unserer Gruppe ist es die erste
Meharée. Dementsprechend begeistert ziehen wir los, jeder
mit seinem Kamel hinter sich. Zuerst aus dem Wadi heraus auf
eine steinige Hochebene mit bizarren Felsformationen. Es ist
ein Genuß hier durchzuwandern. Immer wieder gebe ich die Zügel
an andere ab, um die Karawane von der Seite sehen zu können.
Das Bild der dahinziehenden Kamele mit den verschleierten
Tuareg und uns bunten Touristen ist für mich zu faszinierend.
Es wirkt biblisch. Man muß sich dann aber sehr sputen, um
zur Karawane wieder aufzuschließen. Der Schritt sieht von
der Entfernung zwar langsam aus, ist es aber keineswegs. Die
Kamele haben hohe Beine und machen einen Schritt, wo
unsereiner zwei machen muß. Die Strapazen der früheren
Karawanenzeiten kann ich mir jetzt recht gut vorstellen.
Bald nach Überquerung der Ebene besuchen wir einen Felsüberhang
mit Zeichnungen darunter. Etwas verborgen hinter gewaltigen
Felsen findet Philipp vergammelte Klamotten und einen
verrosteten Kochtopf, die an einer Schnur aufgehängt über
der Erde baumeln. Offenbar von einem ehemaligen Hirten. Sein
Schlafplatz schien nebenan in einem mit Stroh ausgelegtem
Felsloch gewesen zu sein. Die lange Mittagspause nutze ich
zur weiteren Erforschung der Umgebung. Riesige pilzförmige
Felsen - wie wir sie noch öfter treffen sollten -
beeindrucken mich sehr. Die Kamele hoppeln oder trippeln mit
locker zusammengebundenen Vorderbeinen zwischen den Büschen
herum und entfernen sich trotz der Fesselung immer weiter vom
Lager. Später müssen sie wieder eingesammelt werden, was
manchmal schon sehr lange dauern kann, da sie sich in alle
Richtungen verteilen. Die armen Tuareg, die im übrigen nie
geritten sind, legen diese Strecken noch zusätzlich zurück.
Aber Fressen müssen die Kamele nun mal; bei leichteren
Touren - wie unsere - kommen sie dafür aber fast zwei Wochen
ohne Wasser aus. Eine erstaunliche Anpassung der Natur an
diesen Lebensraum.
Spät Nachmittags noch ein Stündchen bis zum heutigen
Lager. Auf einer hochgewehten Düne, direkt an der
Seitenfelswand des Wadis richte ich mein Nachtlager ein und
genieße dort neben der Landschaft auch einen Schluck Osborn.
Renate, die es offenbar liebt gegen Abend nochmals alleine
loszugehen, sehe ich das Wadital durchqueren und weit zurückwandern.
Allmählich verschwindet die Sonne hinter den hohen Felswänden
und Abendstimmung kommt auf. Erst bei völliger Dunkelheit
zieht es mich zum Lagerfeuer. Ein herrlicher Sternenhimmel
wieder über uns und auch Hale-Bopp zeigt sich in voller
Pracht. Später geht noch der Mond auf.
Geschlafen habe ich ausgezeichnet. Ich freue mich auf das
Müsli und meinen Pott Kaffee. Heute gehts also auf die
Kamele. Da ich bereits in Tunesien (1983) und in Rajasthan/Indien
(1988) je einen Tagesritt unternommen hatte, bin ich -
jedenfalls nach Meinung aller anderen - natürlich prädestiniert,
als erster das hohe Gefährt zu besteigen. Daher Schuhe aus
und in den Sattel. Die Rahla, der vor dem Höcker des Kamels
sitzende hölzerne und harte Tuareg-Sattel, ist eine
wackelige Angelegenheit und der Hals des Tieres, auf dem man
sich mit den Füßen abstützt, auch ganz schön beweglich.
Mein Höhenflug beginnt sehr abrupt damit, daß Ebbedit seine
Hinterbeine ein Stück entfaltet und ich kopfüber nach vorn
schieße. Dann fährt er seine Vorderbeine aus und ich kippe
nach hinten und gleich wieder nach vorn, weil er nun die
Hinterbeine vollends geradebiegt. Dann ist er endlich oben,
und ich bin immer noch obendrauf. Alle klatschen vor
Begeisterung. Mit viel wenn und aber gelangt so einer nach
dem anderen in die Höhe. Das Spektakel wäre wirklich einen
Videoclip wert gewesen! Uli erklärt, daß sie als
Reiseleiterin unten bleiben müsse, für alle Fälle. Als wir
drei Tage später darauf bestanden, daß sie auch mal reiten
dürfe, habe ich so meine Bedenken bekommen, ob sie wirklich
nicht reiten sollte oder aber vielmehr in Wirklichkeit nicht
wollte. Sie hats aber gemacht. Nur Hedwig weigert sich
standhaft bis zum Ende der Meharée, jemals ihr Kamel zu
besteigen. Gut zu Fuß ist unsere 63-jährige Hedwig aber
wirklich. Seit Beginn der Meharée und auch bis zu derem Ende
läuft sie stets als allererste mit ihrem Topfhütchen vorne
weg, die rote Wasserflasche in der Hand. Irgendwie erscheint
Sie mir immer so farblos in der Landschaft, schaut weder nach
links noch nach rechts, immer geradeaus. Manchmal frage ich
mich auf meinem Hochsitz, weshalb sie eine solche Tour überhaupt
mitmacht. Aber die Sahara muß ihr gefallen, denn es ist
nicht ihre erste Wüstenreise. Das Bild der alleine, weit
vorneweg laufenden Hedwig ist heute meine Haupterinnerung an
sie. Und ihre standhafte Weigerung, für uns Plätzchen in
der Wüste zu backen.
Hoch zu Kamel ziehen wir zunächst durch das Wadi Irhar
Mellen und biegen später in ein kleines Seitenoued ab. Mir
macht es ausgesprochen Spaß. Man sitzt wie auf einem sich
bewegenden Stuhl, ziemlich steif und senkrecht, da die Rückenlehne
aus Holz ist und wenig zur Bequemlichkeit beiträgt. Aber für
die Beine ist es angenehm, man kann sie auf dem Kamelhals gut
bewegen und auch übereinander legen. Der Hintern wird
allerdings - zumindest in der ersten Zeit - doch ziemlich
strapaziert. Nach ca. einer Stunde sitze nur noch ich auf dem
Gefährt. Alle anderen ziehen wieder - jetzt mit etwas wundem
Po - ihre Kamele. Nachdem anfänglich noch ein Targi (Einzahl
von Tuareg) meinen Ebbedit an den Zügeln führte, will ich
doch bald ganz selbständig reiten. Es gelingt auch ohne
Schwierigkeiten. Ich reite aus der Kolonne raus und reite
parallel weiter, um den Seitenanblick auf die Karawane zu
haben. Die Landschaft um uns wird allmählich zerklüfteter.
Große Felsbrocken liegen herum und auf den Bergen sind
bizarre Felsformationen zu sehen. Mit ein bißchen Phantasie
sind Elefanten, urtümliche Tiergestalten, Türme und
wehrhafte Burgen auszumachen. Daß hier Geister und Dämonen
hausen sollen, die insbesondere Nachts ihr Unwesen treiben,
erscheint gar nicht mehr so abwegig. Und das Felsgestein -
wie schon so oft auf dieser Tour - dunkel bis pechschwarz.
Hebt man aber mal einen schwarzen Stein auf, so stellt man
erstaunt fest, daß die Unterseite regelmäßig rötlich-braun
ist. Es ist nämlich nicht der Stein an sich der schwarz ist,
sondern der sog. Wüstenlack. Die Definition dieses
Geheimnisses lautet bei Göttler: Glänzende Schwarzfärbung
saharischer Gesteine durch Ablagerung von Eisen- und
Manganoxiden, die durch Verdunstung von mineralischen
Gesteinsalzlösungen an der Gesteinsoberfläche rindenartige
oberflächliche Überzüge bilden. Eben nur die Teile, die
von der Sonne beschienen werden, bilden den Wüstenlack aus.
Das Gestein selbst ist im Tadrart hauptsächlich poröser
Sandstein. Offenbar gab es hier vor Jahrmillionen Seen oder
sogar Binnenmeere, die austrockneten und irgendwann gehoben
wurden. Auf die Ablagerungen in diesen Gewässern sind wohl
auch die riesigen Sandmassen der Ergs zurückzuführen.
Unsere Umgebung wird immer schöner. Goldgelber Sand ist
in dies Tal geweht und hat zum Teil Dünen ausgebildet, die
am schwarzen Felsgestein hochziehen oder sich in einzelnen
Felsnischen abgelagert haben. Manche bizarre Felsrücken sind
regelrecht im goldgelben Sand eingebettet. Um diese Schönheit
photographieren zu können, bleibt mir jetzt nichts anderes
übrig, als von Ebbedit zu steigen. Denn auch im Stehen
bleibt er mir nicht ruhig genug und um ein Bild nach Rückwärts
zu machen, muß er erst mal gedreht werden, was nicht ganz so
einfach ist. Hinter einem Felsvorsprung taucht plötzlich ein
älterer Tuareg mit seinem ca. 10-jährigen Sohn auf. Es ist
kaum zu glauben, aber sie wohnen tatsächlich hier. Kurz
drauf zieht eine erstaunlich große Herde von Ziegen vorbei,
die das spärlich vorhandene letzte Grün abfressen und die
Hirtin, die offenbar noch recht junge Ehefrau/Mutter. Leider
ist sie zu weit entfernt, um ein Photo von ihr zu schießen.
Ich hätte gern mal eine Targia im Kasten gehabt, zumal wir
in Libyen fast immer nur Männer zu sehen bekommen. Der Targi
und der Junge begleiten uns über viele Kilometer; es ist für
sie wohl eine Seltenheit, daß Leute vorbeikommen mit denen
sie sich austauschen können.
Unser Mittagsrastplatz liegt phantastisch unter bizarren
Felstürmen. Wir haben bis 3 Uhr Ruhe und ich nutze noch vor
dem Essen die Zeit, um einen mit Felsbrocken übersäten
schwarzen Berg zu besteigen. Erst gehts über wunderschöne,
jungfräuliche Dünen und dann nach oben. Der Blick wird
immer herrlicher und bald genieße ich von ganz oben das
einzigartige Panorama. Das von unten scheinbare Fels- und
Berggewirr wird jetzt übersichtlicher und ich kann unseren
bisherigen Weg gut zurückverfolgen. Einzige erkennbare
Bewegung unten ist wieder mal der bunte Punkt von Lilo, die
ich durch Pfeifen auf mich aufmerksam mache. Die anderen
machen Siesta, was ich in dieser tollen Umgebung nicht
verstehen kann. Allzubald muß ich zum Essen nach unten. Wie
immer ein riesiger Pott vitaminreichen Grünzeugs. Danach
ziehts mich aber gleich wieder los. Von oben hatte ich
einen großen Steinkreis gesehen. Dieses islamische Grab
liegt an der Rückseite meines Berges in der Nähe von
einzigartigen Felstürmen und -domen, die aus dem herrlichen
goldenen Sand herausragen. Unbeschreiblich! Mit Muße und
Genuß wandere ich hier umher. Anschließend gehts von
der Rückseite des Bergs, an einem gewaltigen "Steinpilz"
vorbei, wieder auf den Gipfel. Da es jetzt heiß und auch
recht windig geworden ist, setze ich mich geschützt unter
einen Felsvorsprung und kann mich nicht satt genug sehen.
Faszinierend zeigt sich von dieser Stelle unser weiterer Weg
durchs Wadi. Auch die Kamele tauchen unten auf und wandern -
wie üblich - so weit wie möglich vom Lager weg. Mit dem
Weiterritt um 3 Uhr wirds wohl nicht viel werden. Erst
als zwei Tuareg losziehen und das äußerste Kamel erreicht
haben, mache ich mich gemütlich an den Abstieg. Die Gruppe
lagert immer noch mit dem Vater und Sohn im Schatten. Der
Tuareg bietet uns diverse gut erhaltene, von ihm gefundene
Artefakte für ein paar Dinar zum Kauf an.
Erst gegen 4 Uhr schwinge ich mich wieder in den Sattel.
Alle andern laufen lieber, Hedwig gleich vorneweg. Nach 1 ½
Stunden ist das heutige Nachtlager an einer breiten Flußgabelung
erreicht. Der Wind frischt weiter auf und der Himmel wird
etwas milchig trübe. Wir werden doch nicht etwa einen
Sandsturm bekommen, denke ich. Zur Sicherheit erkunde ich
jedenfalls mal die nähere Umgebung, um im Falle des Falles
ein wirklich geschütztes Plätzchen parat zu haben. Ich
finde auch eins, das von drei Seiten mit Fels umgeben ist.
Wegen ev. Getiers will ich es aber nur für den Notfall
nehmen. Den Seesack baue ich hinter einer kleinen Düne, die
den Wind abhält, auf. Klaus ist derweil schon auf Suche nach
Holz für das Feuer und schleppt gleich einen halben
Baumstamm an. Obwohl er ja auch zahlendes Mitglied ist, fühlt
er sich wohl doch -als Ehemann der Reiseleiterin- mehr
verpflichtet als wir anderen. Unausgesprochen ist er auch für
die Entsorgung des Mülls (Aushebung der Grube und
Abfackelung) zuständig geworden. Für die Konversation mit
den Tuareg ist er ohnehin der beste Partner, da er
ausgezeichnet Französisch spricht und im übrigen
unglaublich kontaktfreudig ist. Immer ist er mit irgendeinem
Tuareg oder mit allen zusammen, insbesondere auch am
Lagerfeuer, und unterhält mit viel Lachen die gesamte
Mannschaft. Seine aufgeschlossene Art dürfte ihm als selbständigem
Unternehmensberater sehr zugute kommen. Sicher hat er auch
mit Abstand den größten Beitrag zum Spaß, zur Lustigkeit
und zur Geselligkeit in unserer Gruppe geleistet.
Unauffällig und wie zufällig schlendert Ali zu meinem
Schlafplatz und zwinkert mit den Augen. Bedrohlich ist die
Flasche schon geleert. Ali tröstet mich aber und erzählt
mir im Vertrauen, daß er in seinem Haus - wie manch anderer
Libyer auch - selber destilliere und wir ja über Serdeles,
seinem Heimatort, kommen werden. Ich nehme auch einen kräftigen
Schluck.
Irgendwann flaut der Wind ab. Beim nächtlichen Pinkeln
sehe ich einen Lichtschein durch die Dunkelheit geistern. Es
ist ein Targi, der nach den Kamelen schaut. Beim Hellwerden
bleibt der Himmel eigenartig. In Deutschland hätte ich
gesagt, eine gewaltige Regenfront zieht auf. Aber hier?!
Durch das sandige Wadi führt unser Weg weiter. Die Bergwelt
wird immer flacher und eine weite, dunkle Ebene, die im
Dunsthorizont verschwindet, tut sich vor uns auf. Es ist eine
düstere, fast dantische Stimmung um uns, wie wir so über
die fast schwarze Stein- und Schotterfläche tappen, die nur
von einzelnen, weit verstreuten Felskuppen unterbrochen wird.
Der Himmel wirkt ähnlich dunkel und bedrohlich. Ein Weg ist
erkennbar, dem wir folgen. Auch Reifenspuren, die sich in die
Steinfläche gedrückt haben, überqueren wir ab und zu. Es
ist der Weg der Jeeps durchs Tadrart und das Akakusgebiet von
Ghat aus bis nach Serdeles. Nur von Süd nach Nord kann diese
Fahrt gemacht werden, da eine einzige hohe, aber besonders
steile Sanddüne südlich von Ghat den umgekehrten Weg
verhindert. Recht lange geht die Wanderung durch diese
eigenartige, düstere Welt. Sie fasziniert mich aber. Ab und
zu steigt Gudrun, Renate oder auch Klaus mal kurzzeitig aufs
Kamel. Ich bleibe die meiste Zeit oben. Zwei, drei sandig-weiße,
trockene Flußläufe, die in die dunkle Ebene mäandern,
werden überschritten. Dann tauchen nach Stunden wieder höhere
Felsberge auf und das Gebirge rückt näher heran.
Am Rande der Ebene, nahe einem Felsberg und etwas
Buschwerk für die Kamele wird unter einer Akazie Mittagsrast
gemacht. Ich steige von Ebbedit ab, trinke die halbe
Wasserflasche leer und schon ziehts mich auf den nahen
Berg. Die Blicke von oben sind für mich einfach ein Muß.
Die anderen wissen mittlerweile schon, wo ich regelmäßig zu
finden bin, wenn das Essen fertig ist. Erstaunlich ist für
mich, wie die Tuareg es immer schaffen, frischen Salat und
Gemüse auf die Eßmatte zu bringen. Es schmeckt hervorragend.
Danach bin ich wieder auf dem Berg. Gewaltige Felsquader und
sonstiges Geröll liegen oben herum und man muß beim
Klettern schon sehr vorsichtig sein. Eine Mütze und anderes
mehr zwischen den Quadern zeugen davon, daß ich hier nicht
der erste bin. Auch wunderschöne goldene Sanddünen haben
sich abgelagert. An der höchsten Stelle auf einem gewaltigen
Felsbrocken lasse ich mich nieder. Der Blick geht weit: Den
Berg runter, der sich in die dunkle Ebene ergießende Flußlauf
mit Büschen und einigen Akazien darin, die weite, schwarze
Ebene mit ein paar Felsburgen und ganz am Horizont erkenne
ich sogar die gewaltigen Dünen des Erg Kasa, die wir ja
durchquert hatten. Rückwärts geht der Blick auf das Gebirge
des Tadrart mit den weißen Waditälern. Auf einem der gegenüber
liegenden Berghänge krabbelt der bunte Punkt und auch Renate
wandert herum und findet dann ihr Aussichtsplätzchen. Erst
als die Kamele sich dem Lager wieder nähern, verlasse auch
ich meinen Aussichtspunkt. Beim Runtersteigen entdecke ich
doch tatsächlich ehemaligen leicht gewellten und heute
versteinerten Meeresboden. Er ist in Platten zerfallen und
wirkt wie ein exakt verlegter Fußboden. Welche Zeiten mögen
hier vergangen sein? An einem aufgerichteten Steinhaufen
finde ich noch eine Tonscherbe aus alter Zeit.
Durch ähnliche Landschaften wie schon morgens geht es weiter. Immer zwischen
den Ausläufern des Tadrart und der schwarzen Steinebene. In
der Ferne hinter der Ebene die schwach erkennbaren Berge des
Ergs. Wadis mit weißem Sand und auch kleineren Dünen werden
durchquert. Der Himmel wird wieder dunkler, nachdem er über
Mittag etwas klarer geworden war. Die Kamele und die Tuareg
bleiben aber ruhig, so daß ich wohl wegen des Wetters keine
Bedenken zu haben brauche. Ich erinnere mich an die
eigentlich kaum glaubliche Tatsache, daß in der Sahara mehr
Menschen ertrinken als verdursten. Denn wenn es mal regnet,
dann kommen wahre Wasserfluten herunter. Da keine Vegetation
und auch kein Mutterboden vorhanden ist, die Wasser aufsaugen
und speichern können, rauscht das Wasser sofort die Hänge
herab, sammelt sich in Wadis und wächst in kürzester Zeit
zu reißenden Flüssen an. Karawanen ziehen nun aber im
Regelfall in diesen Wadis, weil der Boden meist eben und
etwas sandig und nicht mit für Kamele unangenehmen und gefährlichem
Geröll bedeckt ist. So kann es leicht zur Katastrophe kommen,
wenn die Karawane die Gefahr nicht rechtzeitig erkennt und
das Wadi verläßt.
Hier allerdings in den Außenbezirken würde sich das
Wasser schnell über eine große Fläche verteilt haben und
versickern. Eine echte Gefährdung dürfte somit für uns
jedenfalls ausgeschlossen sein. Verdursten werden wir wohl
auch nicht. Denn immer wieder mal tauchen ein oder mehrere
Fahrzeuge auf, die Hilfe holen könnten. Dennoch ist gerade
vor kurzer Zeit in dieser Gegend ein älterer Targi
verdurstet. Er war auf der Suche nach seinem Kamel, das
offenbar seine Fesseln abgestreift hatte. Als er nach zwei
Tagen immer noch nicht zurück war, ging seine Familie los,
fand ihn aber nur noch tot. Er war verdurstet.
Der Boden unter unseren Kamelen wird felsiger. Überall
tauchen jetzt einzeln stehende, bizarre Felsgebilde auf. Sie
wirken wie trutzige Burgen und Festungen in der Ebene. Der
Himmel wird zugleich immer dunkler, die Sonne ist schon völlig
verschwunden und eine geheimnisvolle Düsternis breitet sich
um uns aus. Wenn mir auch nicht ganz wohl dabei ist, so bin
ich doch fasziniert von dem, was sich unseren Augen hier
bietet. Wieder denke ich an das US-Monument Valley. Es wird
noch düsterer. Und tatsächlich
Es fängt in der
Sahara an zu regnen. Ca. ein Mal in fünf Jahren regnet es im
Tadrart und wir sind die "Glückspilze", dieses
Spektakel zu erleben. Aber Gott sei Dank schüttet es bei uns
nicht, sondern es bleibt bei wenig Regen, der auch nur kurz
anhält. Meinen Regenschutz, den ich vorsorglich schon mal
parat genommen habe, kann ich wieder verstauen. Die schwarze
Wolkenwand zieht hinter uns vorbei in Richtung des Ergs. Die
Sonne kommt jetzt sogar hervor und bescheint das ganze
Szenario. Herrlich !! Weit im Hintergrund leuchtet selbst der
Ergrand schwach auf. Und dann
Es ist doch nicht zu
fassen. Ein Regenbogen mitten in der Wüste. Wer hat das
schon mal erlebt. Wir sind alle begeistert. Auch Renate genießt
die seltene Erscheinung von höherer Warte; sie strahlt, wie
auf dem Bild unschwer zu sehen ist. Daß sie dabei auf einem
regelrechten Stinktier sitzt, schmälert ihre Begeisterung
nicht. Ihr Kamel hat nämlich die Angewohnheit, von allen
Kamelen mit Abstand am meisten zu fressen; die Folgen sind
entsprechend. Ihr "Brauner" ist vorne ständig am Rülpsen
und stößt dabei die fürchterlichsten Geruchsschwaden aus;
ja und hinten knattert er wie mit einem Maschinengewehr mit
den ebenfalls bekannten Gerüchen. Renate sagt - trotz
unserer Frotzeleien - dazu nur noch: " Es ist halt von
Natur aus so." Wir vermeiden es allerdings ihr zu nahe
zu kommen, wenn sie auf ihrem Thron sitzt. Oben muß die Luft
aber wohl doch besser zu sein, denn ich kann mir kaum
vorstellen, daß eine so appetitliche Frau es ansonsten bei
dem Gestank - wie er unten ist - aushalten würde.
Es klart bei uns immer stärker auf und die dunklen Wolken
brauen sich jetzt voll über dem Erg Kasa zusammen. Eine
andere Gruppe, die wir später trafen, hat dagegen die ganze
Wucht des Unwetters im Erg Murzuk erleben können. Es war bei
ihnen schon spät am Abend als es losging. Unglaubliche
Massen an Wasser stürzten über sie herein. Sie konnten nur
noch in die Autos fliehen. Dennoch ist ihr gesamtes Hab und
Gut pitschnaß geworden und es muß den ganzen folgenden Tag
gedauert haben, bis alles wieder einigermaßen trocken wurde.
Im Erg ist ein solches Unwetter allerdings nur wenig gefährlich.
Das Wasser versickert schnell, die Sandmassen saugen das Naß
auf und geben es dann nur dosiert wieder ab. Die Nacht war für
die Gruppe aber dahin. Warum nicht auch einmal ein solches
Erlebnis in der Sahara?!
Wir jedenfalls erreichen alsbald ein weites, sandiges und
mit genügend Buschwerk bewachsenes Flußbett in der Ebene.
Es wird unser Übernachtungsplatz, da hier die Kamele
ausreichend Futter finden. Insofern bestimmen letztlich bei
Karawanen immer die Kamele, wo pausiert oder übernachtet
wird. Meinen Seesack deponiere ich in einer leichten
Sandkuhle mit Blick in die Ebene und auf einen einsam
stehenden Baum. Der Wind frischt jetzt wieder auf. Für den
Fall weiteren Regens soll das einzige Zelt, das wir mitführen,
aufgebaut werden. Die Klamotten könnten dann trocken
gestellt werden. Es ist ein Rundzelt, das zwar leicht
aufgebaut und in sich stabil ist, doch wie in dem Sand
befestigen. Wir werden losgeschickt, um schwere Steine zu
sammeln. Ich hab so meine Bedenken, ob unser Bauwerk wirklich
an Ort und Stelle bleiben würde. Mir ist mein Regenschutz,
eine große Plastikhaut, die ich um meinen Schlafsack wickeln
könnte, doch sicherer. Der Seesack ist im übrigen aus
wasserdichtem Material.
Das Abendessen gestaltet sich bei dem wehenden Sand etwas
schwierig. Heute gibts bei uns erstmalig gleiche Kost
wie bei den Tuareg. Unterhalb der Glut im Sand gebackenes
Brot, das von uns kleingebrockt in eine große Schüssel
gegeben und dann mit Fleisch und Sauce gegessen wird. An dem
frischgebackenen, heißen Brot verbrenne ich mir beim Zerbröseln
auch gleich mal die Pfoten. Die Tuareg müssen wohl schon
ausreichend Hornhaut an den Fingern haben, denn sie packen
das Brot sofort problemlos an. Das frische Brot schmeckt
wirklich gut. Das Hammelfleisch wird von uns jedesmal weniger
gegessen. Man sieht in der Dunkelheit schlecht was man
bekommt und wenn auf einmal ein kräftiger Brocken reines
Hammelfett im Mund ist, weiß man in Gegenwart der anderen
nicht so recht, wie man es unauffällig wieder herausbekommt.
Ablenkung tut not. Heute ist aber kein Sternhimmel zu sehen,
auf den man verweisen könnte. Man bleibt also stumm und
schafft es dann doch irgendwie. Der Sand bewahrt sein
Geheimnis.
Die Nacht vergeht problemlos. Beim Aufwachen geht gerade
die Sonne im Dunst auf. Ein wunderschönes Bild mit dem Bäumchen
im Vordergrund. Ich krame noch im Schlafsack liegend nach der
Kamera und mache es. Bereits nachts hatte ich diesen Blick
einmal gehabt; es war als ob eine helle Neonröhre für
mehrere Sekunden die gesamte Landschaft erleuchtet hätte.
Ein solch langes, gleichmäßiges Wetterleuchten habe ich
noch nie erlebt. Der heutige Ritt (für die anderen
eigentlich mehr Wanderung) soll keine 7 Stunden wie gestern
dauern. Die Sonne lacht jetzt vom Himmel. Ebbedit schaut mit
seinen großen Augen unter den hübschen, langen Wimpern
zufrieden auf die gemächlich vorüberziehenden ebenen Sandflächen
und die einzeln stehenden Bergkuppen. Alles sieht licht und
freundlich aus. Wir begegnen einer Herde Ziegen. Und - der
Zufall will es - die zweite SUNTOURS - Gruppe kommt mit ihren
Jeeps geradewegs auf uns zu. Es gibt natürlich ein großes
Hallo. Jeder will vom anderen wissen, wie seine bisherige
Tour verlaufen ist. Auch sie sind begeistert und schwärmen
insbesondere von dem für Touristen erst seit kurzer Zeit
freigegebenen Gebiet um Aramat (ca. 100km nord-westlich von
Serdeles). Es muß traumhaft sein. Bald fahren sie weiter
Richtung Erg Murzuk und wir tappen in Richtung Serdeles.
Gegen Mittag ist die Bergwelt wieder erreicht und unser
ausgewähltes Wadi führt direkt hinein. Unter überhängendem
Fels bestaunen wir eine Malerei, die hauptsächlich
kriegerische Szenen zeigt. Unser Mittagsrastplatz ist nicht
mehr weit. Eine schweizer Gruppe, die in der Nähe gelagert
hat, reitet gerade ab. Man staune: Bei ihnen reitet die ganze
Gruppe. Ein Kamel ist den Schweizern allerdings abhanden
gekommen.
Nach dem Mittagessen ist Lilo damit beschäftigt, zum
hundertsten Male die Kamele aus allen Positionen und in allen
Positionen zu fotografieren. Renate ist schon weit entfernt;
sie will offenbar nochmals die kriegerische Malerei aufsuchen.
Philipp besteigt einen hohen Berg. Gudrun und Hedwig habe ich
eigentlich nie alleine herumwandern sehen. Mich ziehts
in die andere Ecke der Wadi-Ebene. Dort hatte ich auf dem
Herweg nämlich eigenartige Löcher - wie Schwalbennester -
in den oberen Teilen von einzeln stehenden Felstürmen
gesehen. Als ich hinkomme, kann ich es kaum fassen, was die
Natur hier fertiggebracht hat. Wie per Hand aus dem Stein
gemeißelte regelrechte filigrane Gitter und dahinter hohl.
Manchmal exakt nebeneinander liegende Vertiefungen oder Löcher,
die klein beginnen und immer größer werden. Und das in
mehreren Reihen genau untereinander. Ich klettere hoch und
will es nicht glauben. Was hier Wind, Sand, Sonne und Kälte
bewirkt haben, würde jedem Bildhauer mehr als zur Ehre
gereichen. Es ist echte, beeindruckende Kunst. Auf dem gegenüberliegenden
Felsdom noch feinere Ausarbeitungen. Ich kann mich nicht satt
genug sehen und sitze lange davor, um die Kunstwerke auf mich
wirken zu lassen. Wieder auf einem anderen Turm noch was
Phantastischeres. Ein unglaubliches, monumentales Relief schräg
unter einem weit, überhängenden Felsen. Mir ist unwohl,
mich darunter zu stellen. Aber es fasziniert mich derartig,
daß ich einfach hochklettern muß. Es ist so gewaltig und
beeindruckend, daß es mich innerlich regelrecht aufwühlt.
Ich hätte sowas nie für möglich gehalten. Die Figuren und
Formen ergreifen mich ähnlich, wie ich es bislang nur beim
Anblick des Bildes Guernica von Picasso erlebt habe. Lange
lasse ich es auf mich wirken und nur ungern trenne ich mich
davon. (Es ist übrigens das untere der beiden abgebildeten
Kunstwerke; leider kommt die Gewalt der Gestaltung auf dem
Photo nicht recht zur Geltung. Aber ich habe es erlebt.) Auf
der Rückseite des Felsbrockens ein anderes Werk. Es ist das
große Bild rechts. Es liegt hoch im Fels und ist nur über
eine äußerst steile Düne und Kletterei zu erreichen. Aber
auch diese Steinmetzarbeit lohnt die Mühe. Noch weitere
Kunstwerke sind in diesem Naturatelier vorhanden. Ich
schwelge jedenfalls und freue mich wahnsinnig, daß ich per
Zufall diesen Ort der Kunst entdeckt habe. Ich werde den
anderen von meiner Entdeckung erzählen, denn irgendwie muß
ich die Eindrücke loswerden.
Zuvor aber noch einen kurzen Abstecher zur naheliegenden,
steil aufragenden Wadiwand. Dort ist nämlich ein exakt würfelförmiger
Felsbrocken von der Größe eines mehrstöckigen Hauses
herausgebrochen; er steht fast genau auf einer Kante. Danach
wandere ich wieder zum Lager zurück, da noch eine weitere
Felszeichnung besichtigt werden soll. Zu Fuß führt Ali uns
zu einer Felshöhlung, an deren Wand Menschen und Tiere aus
vergangener Zeit erzählen. Interessant sind hier
insbesondere diverse, glatte Vertiefungen und Löcher im
Felsboden. Darin wurden Steine oder Pflanzen zermahlen, um
die ocker, roten oder gelblichen Farben für die Zeichnungen
herzustellen. Auch die zum Zermahlen benutzten kreisrunden
und ovalen Steine liegen noch in unterschiedlicher Größe
herum. Auf dem Rückweg kommt wieder Wind auf und vor die
schon tief stehende Sonne ziehen Schleierwolken. Die
Silhouette der darunter befindlichen Bergwelt wirkt jetzt
weich und etwas schemenhaft.
Abends wird es lausekalt und wir müssen uns immer dicker
anziehen. Die Eßmatte wird hinter eine steile Felswand
gezogen, um etwas geschützter das Essen einnehmen zu können.
Es dauert heute lange, bis die Mahlzeit gekocht ist. Der Koch
hat Probleme mit der Taschenlampe, kein Ersatzbirnchen will
passen. Unsere Sitzunterlagen, selbst aufblasbare Matten,
bringen nicht viel. Es gibt hier zu viele Dornen, die immer
wieder durchstechen. Jeder erzählt von seinen Erlebnissen, während
Kekse gekaut werden. Später zieht es uns alle zum warmen
Lagerfeuer. Aber der Rücken bleibt kalt. Dennoch wird viel
gelacht und irgendwann fangen die Tuareg an, Geschichten zu
erzählen. So dürften am Lagerfeuer in der Wüste wohl auch
die Märchen aus Tausendundeiner Nacht entstanden sein. Die
Geschichten sind sehr unterschiedlich. Manche haben eine
Pointe, andere nicht, wieder andere sind reine Erzählungen,
auch Fabeln oder einfach Märchen sind dabei. Es macht Spaß
zuzuhören. Lustig auch die vielen nötigen Übersetzungen.
Vom Tamaschek ins Französische und dann ins Deutsche, aber
auch noch ins Arabische, da ein Araber dabei ist. Als von Uli
und Renate, unseren beiden Lehrerinnen, dann Till
Eulenspiegel und Hase und Igel zum Besten gegeben wird,
laufen die Übersetzungen umgekehrt. Die Tuareg hängen bei
den beiden deutschen Geschichten mit ihren Augen an jedem
Wort, das den Erzählerinnen über die Lippen kommt.
Besonders der Älteste kommentiert jeden übersetzten Satz
mit einem gespannten "ha". Sie sind beeindruckt und
freuen sich, Neues gehört zu haben.
Der Abend wird lang. Irgendwann mach ich mich mit meiner
Taschenlampe aber auf, um in den Schlafsack zu krabbeln.
Gudrun schließt sich aus Orientierungsgrünen gleich an, da
sie in meiner Nähe ihr Plätzchen ausgesucht hat. Zwei nahe
zusammenstehende Bäumchen hatte ich mir als Wegweiser
eingeprägt. Aber wo sind nun die beiden richtigen Bäumchen?
Es gibt deren so einige, wie ich jetzt in der Dunkelheit
feststellen muß. Ich wandere hin und wandere her, Gudrun
tappt mit. Es ist mir peinlich, daß sie meinem
Orientierungssinn so viel Vertrauen geschenkt hat. Ebbedit
finde ich zuerst, der kauend irgendwo liegt. Endlich sehe ich
meinen Seesack und kann jetzt auch Gudrun sagen, wo ihr Lager
sein muß. Ein Schluck Osborn tut not.
Morgens kommt unsere Karawane erneut an der gestrigen
Felshöhle vorbei. Unser Weg wird steiniger. Die Felsberge
und -kuppen rücken recht nah heran. Skurrile Figuren
beobachten unseren Vorbeimarsch. Leider zu weit weg ein
riesiger Torbogen aus Stein, den ich gerne von der Nähe
besichtigt hätte. Aber die Karawane zieht weiter. Es geht
einen langgestreckten Hang hinauf und plötzlich ein Abbruch
in ein tiefes Tal. Ein wunderschöner Blick hinunter. Wir,
richtigerweise nur ich, muß vom Kamel absteigen, da es zu
steil hinuntergeht. Ich lasse die anderen weit vorwandern und
genieße noch etwas die Aussicht von oben. Rechter Hand im
Hintergrund sind eine Unzahl von Felstürmen zu sehen.
Hoffentlich führt unser Weg dorthin. Als letzter wandere ich
durch die Ebene, vorbei an gewaltigen Steinbrocken. Man fragt
sich, wie sie hier hergekommen sind. Philipp und Lilo
spazieren ebenfalls herum; sie scheinen u.a. auf Artefakt-Suche
zu sein. Die Karawane biegt in ein enges Wadi ein und unter
riesigen Quadern, die eine Höhle formen, wird die Matte
ausgerollt. Ich steige gleich mal die Wadiwand hoch, um von
oben den Blick hinunter zu haben. Die befreiten Kamele ziehen
ebenfalls sofort los und Lilo gleich mit der Kamera hinterher.
Eins der Kamele hat Uli fachmännisch verarztet und
verbunden; es hatte sich den Höcker wundgescheuert. Der
Chamelier ist ihr dafür äußerst dankbar, denn die Kamele
sind den Tuareg fast heilig. Sie sorgen sich rührend um ihre
Tiere und würden wohl fast alles für sie tun. Sie sind ihr
ganzer Stolz und für viele sicher auch der kostbarste Besitz.
Das Verhältnis sehe ich ähnlich wie bei uns zwischen Hund
und Mensch. Die enge Beziehung zu seinem entlaufenen Kamel
war wohl auch der Grund, daß der verdurstete Tuareg die
Gefahr, ohne Wasser zu suchen, mißachtete. Ein braunes
unserer Kamele hat sogar eine besondere Position inne. Es ist
das Müllkamel. Sämtliche organischen Abfälle und zudem
noch das Abwaschwasser werden nur ihm gewährt. Genüßlich
liegt es dann vor dem Trog, macht den Hals lang und sucht
sich wählerisch entweder ein Stück wassertriefendes Brot,
eine vergammelte Orange oder ein Salatblatt aus. Sein
Betreuer sitzt dabei und schaut zufrieden auf das kauende
Tier. Man kann froh sein, daß die heutige Motorisierung
diese faszinierenden, angenehmen Wesen nicht völlig verdrängt
hat. Lange Zeit schien es nämlich so, doch zwischenzeitlich
erholt sich der Bestand gerade auch im stark motorisierten
Libyen wieder. Unsere touristische Meharée - diese Reiseform
wird immer aktueller - trägt sicher dazu bei.
Nach dem Essen wandere ich los, um möglicherweise die
gesichteten Felstürme zu erreichen. Es ist aber weit und ich
bin mir nicht sicher, ob ich hinkommen kann. Drei Stunden
habe ich insgesamt Zeit. Ich merke mir ganz genau den Weg, da
es um etliche Ecken und Berge herumgeht. Denn verlaufen will
ich mich hier wirklich nicht; es ist aber prickelnd, so
allein weit davonzuwandern. Jetzt verstehe ich die Kamele.
Nach einer Stunde sitze ich auf einem Berggipfel und schaue
nach der einen Seite auf eine weite, von Bergen eingerahmte
Sandebene, nach der anderen Seite auf die Felstürme, die
herrlich in Sanddünen eingebettet sind, und in noch anderer
Richtung auf die dunklen Bergmassive. Die Wüste ist schon
toll, denke ich. Und ich freue mich, daß ich statt der
geplanten Woche auf der Insel Wangerooge nunmehr hier sitze.
Der Prospekt mit dem Hinweis, daß noch kurzfristig Plätze für
Libyen frei seien, kam genau richtig. Denn auf diese Idee wäre
ich sonst nicht gekommen. Aber auch Wangerooge ist schön.
Ich hab die Nordseeinsel ja gesehen, als ich Gabi von der
dortigen Schönheitsfarm abgeholt habe. Ein Bild bei Ebbe mit
Watt und Dünen gemacht, hätte ich im übrigen auch in dies
Album schmuggeln können; es wäre wahrscheinlich nicht
aufgefallen. Vielleicht werde ich ein anderes Mal länger in
Wangerooge bleiben, wenn, ja wenn
nicht wieder ein
Prospekt dazwischen kommt.
Beim (problemlosen) Zurückwandern staune ich nicht
schlecht. Eine Jeep-Karawane von 10 Fahrzeugen kommt plötzlich
über die Ebene gerauscht und verschwindet sogleich wieder
hinter Felsbergen. Diese Touristen tun mir leid, so durch
diese schöne Landschaft gescheucht zu werden. Unterwegs
entdecke ich im Bergfels noch zwei natürliche Stollen, die
tief hineingehen. Der eine Eingang gut verdeckt durch große
Steinquader. Ob darin was Interessantes sein mag? Aber ohne
Taschenlampe wage ich eine Erforschung denn doch nicht.
Bald ist Aufbruch. Und ich will es nicht glauben; es geht
im Wadi zurück und exakt auf meinen mittäglichen Hochsitz
zu. Direkt unterhalb wird sogar das Nachtlager aufgeschlagen.
Nun gut, ich kenn mich hier halt schon aus. Auf einer
wunderschönen Düne stelle ich meinen Seesack ab und steige
danach wieder aufwärts. Von oben beobachte ich das Treiben
der anderen und der Kamele. Renate zieht los auf die andere
Seite der Ebene, ebenfalls Philipp, Lilo fotografiert Kamele,
Klaus sammelt Holz, Hedwig kann sich nicht für einen
Liegeplatz entscheiden und wandert hier und dort hin während
Uli sich um die Lagereinrichtung bemüht. Abends am
Lagerfeuer warten die Tuareg mit neuer - für sie aber
durchaus gängiger - Wüstenunterhaltung auf: Denksportspiele
und Brett- oder hier besser Sandspiele. Das Tolle dabei ist,
daß sie keinerlei vorgefertigte Spielunterlagen benötigen,
sondern diese in Windeseile auf dem Sandboden selber
erstellen. Schachbrett oder Mühlespiel oder sonst notwendige
Spielzeichnungen werden verblüffend exakt lediglich mit den
Fingern erstellt. Vor Erstaunen und Bewunderung darüber
schauten wir uns nur noch gegenseitig an. Und es funktioniert
bestens. Figuren gibts aus Brot oder Steinchen.
Die Augen werden heute trocken; künstliche Tränen müssen
her, auch für Gudrun. Ein paar Regentropfen fallen nachts
sogar wieder. Ich hätte es aber im Notfall nicht weit zu
einem Felsüberhang gehabt.
Morgens strahlender Himmel. Wir wollen zuerst wandern, die
Kamele sollen später nachkommen. Die Ebene querdurch, an
eigenartigen Felsformationen und wunderschönen Dünen vorbei
auf die nächste weite Ebene, die mit einer dünnen
Steinchenschicht belegt ist. Ali sieht einfach so im Vorübergehen
eine Pfeilspitze. Sofort sind auch wir animiert und jeder
schreitet jetzt suchend weiter. Gefunden haben wir aber
nichts. Die Karawane holt uns ein und Gudrun, Philipp sowie
ich begeben uns aufs Kamel. Die Landschaft wird aber
bald zu schön; ich muß wieder runter und fotografieren.
Eine weite Fläche gelb-weißen Sandes, aus dem eine Unzahl
schwarzer Felsgebilde und Bergrücken herausragen, hat sich
vor uns geöffnet. Von rechts mündet zudem ein schwarz-weißes
Wadital ein. Wieder ein grandioses Bild! Ich setz mich, laß
Renate ein Photo von mir machen und bleib einfach sitzen bis
die Karawane fast außer Sichtweite ist. Jetzt heißts
aber schleunigst hinterher, denn in dem Felsgewirr verliert
man die Gruppe schnell.
Die Tour begeistert mich wirklich in jeder Hinsicht. Alles
klappt hervorragend. Die Organisation, die hier in Libyen von
den einheimischen Agenturen geleistet wird, ist bestens. Daß
Jaroschs nur gut ausgewählte Unternehmen einschalten würden,
war für mich klar. Deshalb fahre ich ja auch schon das
dritte Mal mit SUNTOURS. Ich habe einfach Vertrauen in ihre
Arbeit. Auch die Gruppe stimmt; wir verstehen uns alle
blendend. Erstaunlich ist allerdings, daß man aus dem persönlichen
Bereich der Teilnehmer eigentlich so gut wie nichts weiß. Außer
dem bereits Berichteten nur: Gudrun war verheiratet und hatte
offenbar eine schwere Kindheit aus Krankheitsgründen gehabt,
wie sie mal beiläufig erwähnte. Gerade um die Ecke vom
Finanzgericht arbeitet sie In einem Institut, macht
Befragungen in Firmen und veröffentlicht auch. Aber welchen
Inhalt ihre Arbeit genau hat, ist mir unverständlich
geblieben. Renates Mann ist tragischerweise letztes Jahr
verstorben. Sie hat zwei wohl schon fast erwachsene Kinder
und ist in der Grundschule tätig. Hedwig scheint
Sachbearbeiterin in einer Firma zu sein. In zwei Jahren geht
sie in Rente. Ob sie verheiratet ist oder war, bleibt für
mich offen. Lilo ist bereits in Rente und muß sich - neben
ihren vielen Reisen - hauptsächlich um ihre alte Mutter und
Tante kümmern. Uli war früher ganz bei Jaroschs beschäftigt,
hat dann jedoch - als die Lage in den wichtigsten Reiseländern
Algerien und dem Niger kritisch wurde - lieber ihre Lehrtätigkeit
wieder aufgenommen und ist jetzt in derselben Schule tätig
wie Renate. Aus Passion ist sie aber während der Ferien
weiterhin als Reiseleiterin tätig. Adoptiert haben Uli und
Klaus zwei Kinder aus Korea. Das wars im wesentlichen
schon, was ich zum Privatleben der Teilnehmer sagen kann.
Bezüglich unserer Tuareg siehts - was den persönlichen
Bereich anlangt - noch viel schlechter aus. Wie mag ihr übliches
tägliches Leben aussehen? Denn sie sind ja nicht dauernd auf
Meharée. Gerne wäre ich mal in eine Tuaregfamilie gekommen.
Die Tuareg sind die bekanntesten Vertreter der Sahara-Berber.
Einige Zehntausend von ihnen leben im äußersten Westen
Libyens. Ghadames und vor allem Ghat sind die libyschen
Zentren. Die Mehrzahl der Tuareg lebt jedoch in Algerien mit
der Ortschaft Djanet als Zentrum. Über die Grenze hinweg
bestehen vielfältige verwandtschaftliche Beziehungen. Als
charakteristisches Merkmal der Tuareg gilt ihre Gewandung:
Die Männer tragen regelmäßig einen Gesichtsschleier, den
Tugulmust. Dieser ist für die Tuareg ein so wichtiges
Attribut, daß sie sich selbst als Kel Tugulmust bezeichnen,
als "die Leute mit dem Gesichtsschleier". Unsere
Chameliers zogen ihre Gardinen aber nur bei stark wehendem
Wind vors Gesicht. Leider muß ich sagen, da sie dann nämlich
wirklich königlich und besonders fotogen aussehen. Die
Frauen sind hingegen unverschleiert, wie im übrigen auch die
meisten mohammedanischen Libyerinnen.
Libyen spielt im Zusammenhang mit der Erhebung der Tuareg
in Niger und Mali gegen ihre jeweils von Schwarzen dominierte
Regierung eine bedeutende Rolle: Hier wurden und werden
Freiheitskämpfer ausgebildet und logistische Unterstützung
gewährt. Bei Verhandlungen zwischen den Staatschefs der fünf
Tuareg-Länder trat Oberst Kadhafi gar im Tuareg-Gewand auf
und hieß die Tuareg aller Länder bei sich willkommen. Wohl
wissend um die historische Vergangenheit - die
wahrscheinlichen Vorfahren der heutigen Tuareg, die
Garamanten, sind ja die Ureinwohner des Fezzan - erklärte er
kurzerhand alle Tuareg zu Libyern. Mit der Ölkrise und dem
von der UNO verhängten Embargo wegen des Jumboabsturzes von
Lockerbee fließen die Gelder aber nicht mehr so reichlich
und viele Tuareg, die aus anderen Ländern gekommen waren,
wurden wieder abgeschoben.
Bald habe ich zu unserer Karawane aufgeschlossen. Wir
ziehen durch ein wahres Felsengewirr und teilweise tiefen
Sand. Die Berge werden höher und sind von einer Unmenge an
Geröll bedeckt. Der weiche Sandstein zerbröselt bei dem ständigen
Wechsel von täglicher Hitze und nächtlicher Kälte offenbar
sehr schnell. Mit einem harten Gegenstand ist es auch kein
Problem, aus dem Gestein Sand abzureiben. Erdgeschichtlich
gesehen, dürfte das Tadrart-Gebirge daher nur ein kurzes
Gastspiel geben und wieder zu Sand zerfallen.
Unsere Mittagsrast wird inmitten des Gewirrs eingelegt.
Ich habe mir meinen Berg schon auserkoren. Nach dem Essen
mache ich mich sogleich an den Aufstieg. Über die vielen
losen Felstrümmer ist es allerdings nicht einfach. Auf dem
Gipfel noch eine glatte, natürliche Steinmauer, die ich
leider nicht mehr überwinden kann. In ihrem Schatten bleibe
ich sitzen und genieße zwei Stunden lang den herrlichen
Ausblick in alle Richtungen. Er geht auf einer Seite weit ins
Gebirge hinein und auf der anderen auf die flacher werdenden
Felsausläufer. Das Gewirr bekommt von oben aber Struktur und
erscheint nicht mehr so chaotisch. Nur Lilo und die Kamele
wandern unten in der Mittagshitze herum. Ich wähle einen
anderen Weg für den Abstieg, der mir leichter erscheint.
Unten komme ich auf eine glatte, fast viereckige Plattform
mit drei großen, runden Köhleröfen - so sieht s
jedenfalls aus; aber reine Natur! Die Gruppe lagert immer
noch unter dem Fels und Ali ärgert und jagt eine Agame, die
sich dann aber in ihrer Höhle in Sicherheit bringen kann.
Wir freuen uns insgeheim darüber. Da die Kamele diesmal
besonders weit abgehauen sind, bleibt mir Zeit. Ich wandere
zu einem von oben gesichteten riesigen Fels, der exakt wie
ein Pilz geformt ist und nur auf einem äußerst schmalen
Stamm steht. Toll ! Beim Umhergehen finde ich Tonscherben,
die unterschiedliche, fein ausgearbeitete Muster tragen. Die
Schönsten nehme ich mit nach Hause.
Lange mußten die Kamele offenbar in dieser unübersichtlichen
Gegend gesucht werden, denn erst gegen 5 Uhr tauchen sie auf.
Es wird leider der letzte Ritt werden; der Endpunkt der Meharée
ist fast schon erreicht. Viel zu schnell. Die tiefstehende
Sonne wirft ein warmes Licht auf die uns umgebenden Berge und
Felsen, die jetzt immer niedriger werden. Von oben schauen
Figuren aus Stein zu uns herab. Es ist einfach schön, so
geruhsam auf meinem Ebbedit hier durchzuschaukeln. Die
Umgebung wird offener und weiter, die Berge weichen zurück.
Renate und Gudrun sitzen jetzt ebenfalls auf ihren Tieren.
Philipp dagegen schlendert lange abseits der Gruppe, den
Blick auf den Boden gerichtet. Durch meine neuen Funde aus
dem Neolithikum scheint er etwas irritiert. Denn er hat
bisher überhaupt noch nichts gefunden. Aber irgendwann
besteigt auch er sein Kamel.
Die Sonne ist noch tiefer gesunken. Es scheint, daß wir
einen besonders stimmungsvollen Abschied für unsere
Karawanentour bekommen. Der Blick auf die gestaffelt
hintereinander liegenden Bergketten wirkt besonders
faszinierend. Ebbedit soll stehenbleiben, obwohl er nicht so
recht will. Ein Erinnerungsfoto muß hier aber sein. Am schönsten
wäre ein Bild direkt Richtung Sonne, aber ich weiß, dann
habe ich nur Nacht auf dem Film. Also etwas mehr zur Seite
halten; hoffentlich gelingts. Wie man jetzt sieht, es
ist tatsächlich gelungen und Ebbedit hat auch stillgehalten.
Immer wieder schaue ich zur untergehenden Sonne. Den anderen
gehts genau so. Die vor uns liegende Pläne ist weit,
aber in der Ferne tauchen bereits wieder neue Steinkuppen auf.
Unser Ziel. Es soll ein besonders geformter Fels sein, den
die Tuareg Adat, den Daumen nennen. Hoffentlich
schaffen wir es noch vor der Dunkelheit.
Wir schaffen es! Mit den letzten Sonnenstrahlen erreichen
wir den Lagerplatz inmitten der Felsen und mit Sicht auf den
Adat. Renates Kamel wird alsbald mit dem Kopf nach unten
gezogen und der Tuareg gibt mit einem Zischlaut den Befehl
zum Niederknien. ihr Kamel gehorcht und geht zuerst vorne und
dann hinten runter. Aber auch mein Ebbedit ist offenbar der
Meinung, es nachmachen zu müssen. Jedenfalls geht er urplötzlich
vorne nach unten und ich kann mich gerade noch an der
Sattelstange festhalten. Viel hätte wirklich nicht gefehlt
und ich wäre in hohem Bogen auf die Felsen geflogen. Gott
sei Dank ist aber nichts passiert, wie wir überhaupt bis
jetzt von Verletzungen und Krankheiten verschont geblieben
sind. Gut, besondere Krankheiten standen eigentlich auch
nicht zu erwarten, da Malaria in Libyen praktisch nicht
vorkommt und Typhus sowie Cholera durch die Sterilisierung
unseres Wassers ebenfalls ausschied. Hepatitis hätte zwar
sein können, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich. Tetanus
und Polioimpfungen haben wir aber ohnehin. Verletzungen beim
Wandern über die Felsen oder beim Reiten waren allerdings
keineswegs ausgeschlossen. Das ist halt das Risiko.
Vorsorglich hatte ich deshalb - auch auf Anraten von Jaroschs
- eine Versicherung mit Rücktransport durch Hubschrauber und
Flugzeug nach Deutschland abgeschlossen. Im übrigen soll
aber auch das Gesundheitswesen in Libyen auf recht hohem
Standard sein. In allen größeren Ortschaften gibt es
Krankenhäuser und Ärzte. Die Ärzte und das
Krankenhauspersonal sind zudem oft aus dem Ausland, was
insbesondere die Verständigung in vielen Fällen erleichtert.
Dennoch kann man sich gut vorstellen, welche Probleme,
zumal in abgelegenen Gebieten, auftreten können. Von einem
tragischen Fall haben wir gehört. Der Mann mit dem Sohn, die
wir unterwegs trafen, hat ihn erzählt. Sein zweiter Sohn nämlich
war mit den Ziegen eines Tages unterwegs und wollte in einem
recht tiefen Guelta (abgelegene, versteckte Wasserstellen in
der Wüste) Wasser schöpfen. Er rutschte unglücklich ab und
fiel mehrere Meter in das enge Loch. Selbst befreien konnte
er sich wegen der schweren Verletzungen nicht mehr. Erst
Stunden später fand ihn die Familie, konnte ihn aber alleine
auch nicht herausholen. Der Vater rannte zur Akakus-Piste und
wartete dort einen ganzen Tag, bis Jeeps vorbeikamen. Mit
vereinten Kräfte holten sie nunmehr den Sohn aus seinem Gefängnis
heraus und brachten ihn zum doch recht weit entfernten
Krankenhaus. Per Hubschrauber kam er dann nach Tripolis und
dort liegt er heute noch. Gelähmt bis zum Kopf und ohne
Angehörige. Die Familie weit im tiefen Süden hat nicht das
nötige Geld, um desöfteren den Sohn zu besuchen. Im übrigen
spricht der Sohn nur Tamaschek und kann sich damit in
Tripolis kaum verständigen.
Schnell ist es dunkel geworden und das Sternenmeer über
uns glitzert. Auch Hale-Bopp zeigt sich mittlerweile in
enormer Pracht. Es ist unsere letzte Nacht am Lagerfeuer und
das genießen wir nochmals ausgiebig. Ali und ich teilen
zudem versteckt den winzigen Rest unseres Osborn. Ein Jeep
ist bereits pünktlich eingetroffen, um diversen Nachschub,
insbesondere Wasser, mitzubringen. Morgens kann ich mich
deshalb ausgiebig für den Wiedereintritt in die Zivilisation
rasieren. Anschließend erklimme ich einige hohe Felsen, um
bei dem herrlichen, morgendlichen Sonnenlicht die uns
umgebende, offene Felslandschaft zu betrachten. Nach dem Frühstück
bleibt bis zur Abfahrt noch viel Zeit, die ich u.a. für
einen Abstecher zum Adat nutze. Es ist wahrlich ein prächtiger
und markanter Felsbrocken, der es würdig ist, als Endpunkt
unserer Meharée zu dienen. Die weiteren Jeeps sind
mittlerweile ebenfalls mit großem Hallo eingetroffen. Zum
Abschluß soll die ganze Gruppe nochmals auf die Kamele, um
Abschiedsfotos zu machen. Zuerst allerdings wollen die Tuareg
noch ihr Reiterkönnen zeigen und galoppieren vor unseren
Augen herum. Schon ein tolles Bild, die jetzt verschleierten
Ritter der Wüste auf ihren Tieren zu sehen. Danach sind wir
- wenn auch wesentlich zaghafter und gemütlicher - an der
Reihe. Unser Koch, der mit meiner Kamera Bilder machen soll,
verknipst vor lauter Begeisterung fast den ganzen Film. Dann
verabschieden uns von den uns lieb gewordenen Kamelen, ich
streichle nochmals Ebbedit, und von den Chameliers. Ein
letztes Winken aus den Autos und ab gehts nach Serdeles.
Die Berge und Felsen des Tadrart weichen immer weiter zurück,
bald tauchen die ersten Plastikfetzen und Dosen auf und wir
wissen, wir nähern uns der Zivilisation. In der Ferne das
erste saftige Grün seit langem wieder, Palmen, Gemüsefelder
und die ersten Häuser sind erreicht. Serdeles - trostlos.
Hier also wohnt Ali. Die Mittagsrast wird in einem neuen,
hervorragenden Camp mit Duschen gemacht. Jeder genießt es,
sich mal wieder so richtig unter fließendes Wasser zu
stellen. Philipp kauft einen alten Kamelsattel für das
Ledermuseum seiner Firma. Leider will der Agenturchef nicht,
daß wir Alis Haus besuchen. Aus weiser Voraussicht wegen
dessen Destillation? Ein kurzer Besuch des kleinen Marktes,
auf dem es alles oder auch nichts gibt und dann rauschen wir
los. Ca. 360 km bis nach Ubari. Links aus dem Jeepfenster
nichts, geradeaus nichts und nach rechts eigentlich auch
nichts, nur ganz in der Ferne schwach die Dünen des Erg Kasa.
Nach ca. 100 km rechts bis nach Ubari dann die Steilstufe des
Messak Mustafit. Ubari gleicht Serdeles, ist nur etwas größer.
Im uns schon bekannten Germa nächtigen wir in einem äußerst
einfachen Camp und treffen hier - wie verabredet - die zweite
Jaroschgruppe wieder. Das Abendessen läßt sehr lange auf
sich warten; wir vertreiben uns die Zeit vor der Hütte am
Lagerfeuer mit Tee. Ein Folkloreabend mit Gesang und Tanz ist
noch angesagt. Die Sängerin, das einzig hübsche Mädchen
das ich in Libyen gesehen habe, verbringt die Wartezeit mit
uns. Leider habe ich sie nicht fotografiert. Da bis 24 Uhr
weder Tanz noch Gesang beginnt, lege ich mich schon in die
Koje. Es war auch nichts tolles, was ich dann im Halbschlaf
so mitbekomme.
In aller Frühe geht die Fahrt weiter. Dieselbe Strecke,
die wir auf der Herfahrt genommen haben; über 12 Stunden bis
nach Gharyan zurück mit Mittagsrast -wie gehabt- im Nest
Shwayrif. Übernachtung im bereits bekannten, guten Hotel,
das uns heute sogar eine Mondfinsternis zu bieten hat.
Morgens Abfahrt zur alten Römerstadt Sabrata, die
wunderschön direkt am tiefblauen Mittelmeer gelegen ist.
Ursprünglich eine phönizische Handelsniederlassung - ebenso
wie Oea (heute Tripolis) und Leptis Magna - wurden sie von
den Römern zu Städten ausgebaut. Kaiser Septimus Severius (146
- 211), ein Sohn des Landes, ließ die Städte besonders
reich ausschmücken. Insbesondere das Theater von Sabrata
stellt einen Höhepunkt römischer Architektur dar. Überwältigend
auch das Mosaik aus der Eingangshalle der justinianischen
Kirche. Unser Bummel durch die von den Arabern 647 zerstörte
und heute erst wieder teilweise freigelegte Stadt ist
beeindruckend. Es muß eine grandiose Stadt mit vielen Säulengängen,
Tempeln und Skulpturen gewesen sein. Auch ein phönizischer
Turm mit Steinlöwen ist noch erhalten.
Kulturell aufgeheizt fahren wir das letzte Stück zur
Grenze. Ca. zwei Stunden Abfertigung und 2 weitere Stunden
Fahrt nach Houmt Souk, Djerba. Jetzt 2 Tage nur noch
faulenzen mit der Erinnerung an eine wunderbare Reise.